Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
wenn Emir es fand! Der Inhalt wurde achtlos auf den Boden geworfen. Zum Glück blieb das gläserne Messer eingewickelt in seinem Tuch. Emir zeigte vielmehr Interesse für die alte Karte von Bärenfels. Er faltete sie zusammen und steckte sie in seine Hosentasche. »Gefällt mir.«
Wütend warf sich Jonathan im Griff der beiden Jungs hin und her. »Warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe? Ich habe euch nichts getan!«
»Du hast dich nicht an die Abmachung gehalten«, widersprach Emir und steckte auch Handy und Taschenmesser ein. Dann gab er seinem Kumpan ein Zeichen. »Los, Hering, sammel den Plunder auf!«
Hering war ein schmaler fünfzehnjähriger Junge mit glatten dunklen Haaren, die ihm strähnig über der Schulter hingen. Jonathan betete, dass er das Messer nicht entdeckte. Zu seiner Erleichterung wurde es mitsamt dem Stoffbündel zurück in den Rucksack gesteckt. Emir schnappte ihn sich und wog ihn prüfend in der Hand.
»Doppelkorn, schmeiß ihn in das Loch da hinten!«
Doppelkorn grinste und führte den Befehl aus. Er rannte zu der Luke. Tränen der Wut schossen Jonathan ins Gesicht. Eliane konnte es nicht länger mit ansehen. Sie packte Emir und sah ihn mit erhobenen Brauen an.
»Findest du nicht, dass er genug hat? Du hattest deinen Spaß, jetzt gib ihm seine Sachen wieder.«
»Halt die Klappe, Eliane, du hast hier überhaupt nichts zu melden.«
»Gebt mir meinen Rucksack!«, schrie Jonathan.
»Komm schon«, sagte Eliane noch einmal mit Nachdruck. »Du handelst dir noch Ärger mit dem alten Cassius ein!«
Emir funkelte sie zornig an. »Sagst du hier jetzt, was wir zu tun haben?«
Wütend ließ Eliane den Kopf sinken und schwieg.
Doppelkorn warf den Rucksack durch die Luke im Boden. Mit einem Platschen landete er fünf Meter tiefer im Brackwasser. Rotwang und Hering kicherten schadenfroh. Emir gab seinen Freunden ein Zeichen. Feixend verließen sie das Anwesen.
Jonathan sank auf die Knie. Er durfte das Messer nicht hierlassen. Er musste es um jeden Preis wiederhaben, egal wie. Doch ihm blieb nicht mehr viel Zeit, die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten. Er hatte höchstens eine Stunde. Wut und Verzweiflung umklammerten sein Herz. Wenn er nur jemanden hätte! Einen Freund, einen Vertrauten, irgendeine Menschenseele, die ihm helfen konnte. Aber er war ganz allein.
* * *
Stöhnend zerrte er eine vertrocknete Tanne durch das Gras und warf sie in die Luke. Er hatte kein Seil, geschweige denn eine Leiter dabei, die ihm beim Abstieg geholfen hätten, aber die Äste des toten Baumes würden ihren Zweck hoffentlich auch erfüllen. Die Angst kroch in ihm empor. Würde man ihn je finden, wenn er in die Tiefe stürzte? Der seltsame Zauber, der über dem Haus lag, hatte dafür gesorgt, dass es in den letzten Jahrzehnten von der Welt unbemerkt geblieben war. Wenn Jonathan sich das Bein brach, würde er gewiss hier draußen verfaulen.
Denk daran, warum du hier bist, Jonathan!
Die Sonne berührte bereits die Wipfel der Bäume. Bald würde die Nacht das Terrain erobern. Entschlossen kletterte er in die Dunkelheit, immer tiefer, bis das Licht schwand und sein Atem ein leises Echo zurückwarf. Er befand sich in einem alten Kohlenkeller. Das erklärte die Luke im Boden. Als Jonathan wieder festen Boden unter seinen Füßen hatte, erlaubte er sich einen kurzen Moment des Durchatmens. Vorsichtig tastete er sich in der Dunkelheit voran, bis seine Füße einen Widerstand spürten.
Sein Rucksack!
Rasch warf er ihn über die Schulter und eilte zurück ins Licht. Jetzt schnell wieder nach oben. Als er die Äste der Tanne packte, hatte er plötzlich das Gefühl, dass er beobachtet wurde, dass sich die Kreaturen der Dunkelheit aus der Deckung wagten, um ihre dürren Arme nach ihm auszustrecken. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Obwohl er wusste, dass da nichts sein konnte – abgesehen von ein paar Ratten vielleicht –, kletterte er, so schnell er konnte. Wenn er erst einmal oben angekommen wäre, würden ihn keine zehn Pferde mehr in dieses verdammte Loch kriegen.
Jonathan hatte die Oberfläche fast erreicht und wollte gerade nach dem Rand der Luke greifen, als der Baum ins Rutschen geriet. Er brach und stürzte um. Jonathan riss die Hände vors Gesicht und fiel unkontrolliert in die Tiefe. Rücklings knallte er auf den feuchten Boden. Ein paar Äste federten seinen Sturz notdürftig ab, doch das half nicht viel: Sein Rücken schmerzte, und in seinem Mund breitete sich der metallische Geschmack von
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