Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
schwer.
»Mann, bist du schwer!«, keuchte Eliane.
Er rang nach Worten. Tausend Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf, und sein Herz schlug wie ein Dampfhammer. »Du hast es auch gesehen, oder?«
»Was hab ich gesehen?«
»Da unten war etwas!«
Eliane zog eine Grimasse. »Ja, haufenweise Ratten.«
Gern hätte er ihr zugestimmt und alles nur seiner Einbildung zugeschrieben. Leider wusste er, dass es nicht so war. Das Klappern des Schlosses, das Öffnen der Tür, die unförmige Gestalt im Licht, das alles war zu real gewesen.
»Ganz schön dämlich, allein in dieses Loch zu klettern«, sagte Eliane. »Wenn ich nicht zufällig nach dir gesucht hätte, könntest du jetzt da unten verfaulen.«
»Wenn deine total verblödeten Freunde meinen Rucksack nicht hineingeworfen hätten, wäre ich auch gar nicht erst runtergeklettert«, erwiderte Jonathan gereizt.
Eliane zuckte nur mit den Schultern. »Punkt für dich. Trotzdem finde ich, dass ich ein wenig mehr Dankbarkeit verdient hätte.«
»Danke«, murrte er.
»Gern geschehen, Blitzbirne.«
»Ich heiße Jonathan!«
Sie zog eine Grimasse. »Schön für dich. Lass uns verschwinden, bevor es Nacht wird!«
Sie gingen durch den Wald, sammelten ihre Räder auf und fuhren zurück ins Dorf. Jonathan war froh, dass er den Heimweg nicht allein antreten musste. Immer wieder wanderten seine Gedanken zurück in die Dunkelheit des Kohlenkellers, und er fragte sich, ob er sich wirklich nichts eingebildet hatte.
An einer Kreuzung hielt Eliane an.
»Ich wohne dahinten, beim alten Hof. Zum verrückten Cassius geht’s da lang. Versuch auf dem Heimweg nicht in irgendwelche Löcher zu fallen. Ach, und noch was: Wenn dich jemand fragt, wir kennen uns nicht. Du hast noch keinen Hasen gefangen, und du bist kein Freund von mir.«
Er runzelte die Stirn.
»Das ist aus einem Song von Elvis Presley, und es bedeutet: Ich hab dich zwar da rausgeholt, aber das hat nichts zu bedeuten. Bleib mir vom Leib, klar?«
Er nickte. »Klar.«
»Dann mach’s gut.«
Sie bog ab und trat in die Pedale. Jonathan sah ihr nach, bis ihre blonde Mähne am Ende der Straße verschwunden war. Er wusste nicht so recht, was er von ihr halten sollte. Sie war unhöflich. Sie war grob. Sie war gemein.
Und mit Sicherheit war sie das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte.
Zehntes Kapitel
Eliane
Die Burg döste friedlich im Abendrot. Schwalben segelten über die Zinnen hinweg, und aus den Höhlen im Mauerwerk wagten sich die ersten Fledermäuse hervor. Nichts deutete auf das Gewitter hin, das Jonathan erwartete. Er stellte sein Rad in den Schuppen und sah Cassius an seinem Motorrad schrauben.
»Ich bin wieder da!«, rief er quer über den Hof.
Cassius schnaubte wie ein alter Elefant und ließ sein Werkzeug fallen.
»Ab in die Küche!«
Jonathans Fröhlichkeit verflog. Er wusste, dass er in Schwierigkeiten war. Cassius führte ihn in die Küche, wusch seine Hände und sprach, ohne ihn anzusehen.
»Wo warst du den ganzen Tag?«
Fieberhaft suchte Jonathan nach einer Ausrede, doch ihm fiel nichts Dümmeres ein als »Bei Freunden«.
»Ah, ich verstehe. Diese nichtsnutzigen Kerle von der Blutsbande, die im ganzen Dorf damit prahlen, dass sie dir eins ausgewischt haben, das sind jetzt deine Freunde?«
Jonathan spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Für einen Rückzug war es zu spät, jetzt konnte er nur noch hoffen, Cassius mit Lügen zu beschwichtigen.
»Nein, ich meine, ja … nicht direkt. Wir waren im Dorf und haben uns geprügelt …«
Cassius schlug so stark mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr in den Schränken klirrte. »Genug jetzt! Emir, dieser Nichtsnutz, erzählt es überall herum: ›Der Junge aus der Stadt hat ein verrücktes Haus gefunden, mitten im Wald! Wir haben ihm eine Lektion erteilt, die er so schnell nicht vergessen wird!‹«
Am liebsten hätte Jonathan sich in eine Maus verwandelt und sich im nächsten Loch verkrochen.
»Überall hab ich nach dir gesucht!«, schrie sein Onkel zornig. »Ich habe meinem Bruder versprochen, auf dich aufzupassen. Aber wie soll ich dich vor Gefahr bewahren, wenn du mich hintergehst?«
»Aber …«
»Ruhe! Cornelius hat behauptet, dass man dir vertrauen kann. Aber du hast meine Gutmütigkeit ausgenutzt. Trotz unserer Abmachungen hast du das Haus gesucht und, Gott weiß wie, auch gefunden. Es hat einen Grund, warum es in Vergessenheit geraten soll! Von dort geht eine große Gefahr aus. Aber du hast ganz offenbar nichts
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