Jonathan Strange & Mr. Norrell
Karten aus. Die Karten hatten alle wieder ihre ursprüngliche Bedeutung angenommen, außer L'Empereur , der sein rabenkönigliches Aussehen nicht abgeschüttelt hatte. Bestimmte Karten tauchten überdurchschnittlich häufig auf, darunter Das Ass der Kelche – ein kirchlich wirkender Becher von so elaboriertem Aussehen, dass er einer ummauerten Stadt auf einem Stiel glich – und II La Papesse . Nach Childermass' Dafürhalten standen diese beiden Karten für etwas Verborgenes. Auch Stäbe tauchten mit ungewöhnlicher Häufigkeit auf, und es waren immer hohe Werte, die Sieben, die Acht, die Neun, die Zehn. Je länger Childermass die Reihe der Stäbe betrachtete, umso mehr schienen sie geschriebenen Zeilen zu gleichen. Aber gleichzeitig waren sie eine Barriere, ein Hemmnis für das Verständnis, und deswegen kam Childermass zu dem Schluss, dass Vinculus' Buch, was immer es war, in einer unbekannten Sprache verfasst war.
KAPITEL 22
Der Ritter der Stäbe
Februar 1808
Jonathan Strange war ein ganz anderer Mensch als sein Vater. Er war nicht geizig; er war nicht stolz; er war nicht schlecht gelaunt und unfreundlich. Er hatte keine offensichtlichen Laster, aber seine Tugenden waren nahezu ebenso unauffällig. Auf den Vergnügungspartys in Weymouth und in den Salons von Bath wurde er von den eleganten Gästen regelmäßig zum »charmantesten Mann der Welt« erklärt, aber damit meinten sie nur, dass mit ihm gut zu plaudern war, dass er gut tanzte und so viel auf die Jagd ging und spielte, wie es sich für einen Gentleman geziemte.
Er war ziemlich groß, und seine Figur galt als gut. Manche hielten ihn für gut aussehend, aber das war bei weitem nicht die allgemeine Meinung. Sein Gesicht hatte zwei Fehler: eine lange Nase und einen ironischen Ausdruck. Auch hatte sein Haar einen rötlichen Ton, und wie allgemein bekannt, kann eine Person mit roten Haaren nicht wirklich gut aussehen.
Als sein Vater starb, bestand seine Hauptbeschäftigung darin, eine bestimmte junge Dame davon zu überzeugen, ihn zu heiraten. Als er am Todestag seines Vaters von Shrewsbury nach Hause kam und die Dienstboten ihm davon berichteten, war sein erster Gedanke, wie das seine Werbung beeinflussen würde. War es jetzt wahrscheinlicher, dass sie Ja sagte? Oder weniger wahrscheinlich?
Eigentlich hätte nichts in der Welt einfacher sein sollen, als diese Heirat zu arrangieren. Alle ihre Freunde billigten die Verbindung, und der Bruder der Dame – ihr einziger Verwandter – befürwortete sie nahezu ebenso leidenschaftlich wie Jonathan Strange selbst. Wohl wahr, Laurence Strange war aufgrund der Mittellosigkeit der Dame strikt dagegen gewesen, aber indem er sich zu Tode fror, entledigte er sich aller Möglichkeiten, ernsthafte Schwierigkeiten zu machen.
Aber obwohl Jonathan Strange seit ein paar Monaten der allseits anerkannte Verehrer der jungen Dame war, erfolgte die – von ihren Bekannten stündlich erwartete – Verlobung nicht. Es lag nicht daran, dass sie ihn nicht liebte; er war ganz sicher, dass sie es tat, aber bisweilen schien es, dass sie sich nur in ihn verliebt hatte, um sich mit ihm zu streiten. Er wusste nicht, wie er sich das erklären sollte. Er meinte, alles getan zu haben, was sie sich hinsichtlich der Verbesserung seines Verhaltens nur wünschte. Das Kartenspiel und Geldwetten hatte er nahezu vollständig aufgegeben, und er trank auch nur noch sehr wenig – kaum mehr als eine Flasche am Tag. Er hatte sich bereit erklärt, öfter in die Kirche zu gehen, wenn sie es wünschte – sagen wir einmal in der Woche, auch zweimal, wenn sie es wollte –, aber sie hielt dagegen, dass sie diese Dinge seinem eigenen Gewissen überließ, es war nicht etwas, was einem jemand anders vorschreiben sollte. Er wusste, dass sie seine häufigen Besuche in Bath, Brighton, Weymouth und Cheltenham nicht guthieß, und er versicherte ihr, dass sie von den Frauen dort nichts zu befürchten hatte – sie waren zweifellos sehr charmant, aber sie bedeuteten ihm nichts. Sie entgegnete, dass sie sich deswegen keine Sorgen mache. Auf diesen Gedanken wäre sie nicht im Traum gekommen. Sie wünschte nur, er würde seine Zeit sinnvoller verbringen. Sie wollte nicht moralisch sein, und niemand machte lieber Ferien als sie, aber beständige Ferien? War das wirklich, was er wollte? Machte ihn das glücklich?
Er meinte, dass er genau ihrer Ansicht sei und im vergangenen Jahr ständig Pläne geschmiedet habe, diesen oder jenen Beruf zu ergreifen oder dieses oder jenes
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