Jonathan Strange & Mr. Norrell
Studium zu verfolgen. Die Pläne als solche waren sehr gut. Er dachte daran, sich ein armes Dichtergenie zu suchen und als dessen Gönner zu fungieren; er dachte daran, Jurisprudenz zu studieren; am Strand von Lyme Regis nach Fossilien zu suchen; ein Eisenwerk zu kaufen; Eisengießerei zu studieren; einen Bekannten zu befragen, der sich mit neuen landwirtschaftlichen Methoden auskannte; Theologie zu studieren; und ein faszinierendes Werk über das Ingenieurwesen zu Ende zu lesen, das er, dessen war er sich fast ganz sicher, vor zwei oder drei Jahren auf einen kleinen Tisch in der hintersten Ecke der Bibliothek seines Vaters gelegt hatte. Aber jedem dieser Projekte stellte sich ein unüberwindliches Hindernis in den Weg. Arme Dichtergenies waren schwerer aufzutreiben, als er es sich vorgestellt hatte; 38 juristische Bücher waren langweilig; der Name des Bekannten, der sich mit der Landwirtschaft auskannte, fiel ihm nicht mehr ein; und an dem Tag, als er an den Strand von Lyme Regis wollte, regnete es wie aus Kübeln.
Und so weiter und so fort. Er sagte zu der jungen Dame, dass er sich von ganzem Herzen wünsche, vor Jahren zur Marine gegangen zu sein. Nichts in der Welt hätte besser zu ihm gepasst. Aber sein Vater hätte es ihm nie und nimmer gestattet, und jetzt sei er achtundzwanzig. Es war viel zu spät, eine Karriere bei der Marine in Angriff zu nehmen.
Der Name dieser merkwürdig unzufriedenen jungen Frau war Arabella Woodhope, und sie war die Tochter des verstorbenen Hilfspfarrers von St. Swithin in Clunbury. 39 Als Laurence Strange starb, weilte sie zu einem längeren Besuch bei Freunden in dem Dorf in Gloucestershire, in dem ihr Bruder Hilfspfarrer war. Strange erhielt ihr Kondolenzschreiben am Morgen vor der Beerdigung. Darin brachte sie die angemessenen Gefühle zum Ausdruck – Bedauern für seinen Verlust, gemäßigt durch ein Verständnis für die vielen Schwächen, die der ältere Mr. Strange als Vater besessen hatte. Aber da war auch noch etwas anderes. Sie machte sich Sorgen um ihn. Sie bedauerte ihre Abwesenheit von Shropshire. Es gefiel ihr nicht, dass er in so einer Zeit allein und ohne Freunde war.
Er entschloss sich augenblicklich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich ihm je wieder eine so günstige Situation bieten würde. Und sie würde nie wieder solch ängstliche Zärtlichkeit für ihn empfinden wie in diesem Moment, und er wäre nie wohlhabender. (Er glaubte nicht ganz, dass ihr sein Reichtum so gleichgültig war, wie sie behauptete.) Er nahm an, dass zwischen der Beerdigung seines Vaters und einem Heiratsantrag eine angemessene Zeitspanne verstreichen sollte. Drei Tage schienen ihm in etwa ausreichend. Am Morgen des vierten Tags wies er seinen Kammerdiener an, seine Sachen zu packen, und befahl seinem Stallknecht, sein Pferd zu satteln, und dann brach er auf nach Gloucestershire.
Er nahm den neuen Diener mit. Er hatte sich ausführlich mit diesem Mann unterhalten und ihn für tatkräftig, einfallsreich und kompetent befunden. Der neue Diener war hocherfreut, auserwählt zu sein (obschon ihm seine Eitelkeit einflüsterte, es sei die natürlichste Sache der Welt). Aber jetzt, da der neue Diener seine umstürzlerische Phase hinter sich gebracht hatte, jetzt, da er aus dem Mythos in die Alltagswelt getreten war, ist es angebracht, ihm wie jedem gewöhnlichen Sterblichen einen Namen zu geben. Er hieß Jeremy Johns.
Am ersten Tag erlebten sie nichts weiter als die üblichen Abenteuer, wie sie allen Reisenden widerfahren: Sie stritten mit einem Mann, der aus unerfindlichem Grund seinen Hund auf sie hetzte, und sie waren kurz beunruhigt, weil Stranges Pferd zu kränkeln schien; nach eingehender Untersuchung stellte es sich jedoch als vollkommen gesund heraus. Am Morgen des zweiten Tags ritten sie durch eine liebliche Landschaft sanft geschwungener Hügel, winterlicher Wälder und gepflegter kleiner Farmen. Jeremy Johns war damit beschäftigt, das richtige Maß an Hochmut zu üben, das dem Diener eines neuen Herrn über große Ländereien anstand, und Jonathan Strange dachte an Miss Woodhope.
Jetzt, da der Tag, an dem er sie wiedersehen sollte, gekommen war, quälten ihn Zweifel, wie er wohl empfangen werden würde. Er war froh, dass ihr Bruder bei ihr war – der liebe, gute Henry, der nur Vorteilhaftes in der Verbindung sah und der, dessen war Strange ganz sicher, seine Schwester beständig dazu ermunterte, günstig darüber zu denken. Was die Freunde anbelangte, die sie besuchte, so
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