Jonathan Strange & Mr. Norrell
tanzen. Der Bettler hieß Johnson. Er war ein armer, verkrüppelter Matrose, dem ein Ruhegeld verweigert wurde. Da er auch sonst keine Unterstützung erhielt, sang und bettelte er für einen Lebensunterhalt, worin er sehr erfolgreich war. In der Stadt war er wegen seines kuriosen Huts bekannt. Johnson hielt Stephen die Hand hin, aber Stephen schaute weg. Er war stets darauf bedacht, nicht mit Negern von niederem Stand zu sprechen oder sie zu grüßen. Er befürchtete, dass er mit ihnen in Verbindung gebracht würde, wenn man ihn mit solchen Leuten reden sah.
Er hörte, wie sein Name gerufen wurde, und zuckte zusammen, als wäre er verbrüht worden, aber es war nur Toby Smith, Mrs. Brandys Ladengehilfe.
»Oh! Mr. Black!«, rief Tobyund hastete auf ihn zu. »Da sind Sie ja. Normalerweise gehen Sie so schnell, Sir. Ich war sicher, dass Sie schon in der Harley Street wären. Mit den besten Empfehlungen von Mrs. Brandy, Sir, sie sagt, Sie hätten das hier neben Ihrem Stuhl vergessen.«
Toby hielt ihm ein silbernes Diadem hin, ein schmales Band, das genau auf Stephens Kopf passte. Es war nicht weiter verziert außer mit ein paar merkwürdigen Zeichen und komischen Buchstaben, die in die Oberfläche geritzt waren. »Aber das gehört mir nicht«, sagte Stephen. »Oh«, sagte Toby tonlos, aber dann schien er überzeugt, dass Stephen scherzte. »Ach, Mr. Black, als hätte ich es nicht hundertmal auf Ihrem Kopf gesehen.« Dann lachte er, verneigte sich und lief zurück zum Laden, und Stephen stand mit dem Diadem in der Hand da.
Er ging über den Piccadilly in die Bond Street. Er war noch nicht weit gekommen, als er Schreie hörte und eine kleine Gestalt die Straße entlangrennen sah. Der Größe nach zu urteilen konnte das Kind nicht älter als vier oder fünf Jahre sein, aber das leichenblasse Gesicht mit den scharfen Zügen musste wesentlich älter sein. Zwei oder drei Männer folgten ihm und schrien: »Dieb! Haltet den Dieb!« Stephen sprang dem Dieb in den Weg. So wie der junge Dieb Stephen (der behände war) nicht ganz entgehen konnte, so konnte Stephen den Dieb (der aalglatt war) nicht ganz festhalten. Der Dieb drückte ein langes, in ein rotes Tuch gewickeltes Bündel an sich, das er irgendwie Stephen in die Hände warf, bevor er zwischen den Menschen vor Hemming's, dem Goldschmied, untertauchte. Die Leute hatten das Geschäft des Goldschmieds gerade verlassen und wussten nichts von der Verfolgungsjagd, deswegen sprangen sie nicht auseinander, als sich der Dieb unter sie mischte. Es war unmöglich zu sagen, wohin er verschwunden war.
Stephen stand da, das Bündel in den Händen. Das Tuch, ein weiches altes Samttuch, verrutschte und enthüllte einen langen Stab aus Silber.
Der erste Verfolger, der bei Stephen ankam, war ein dunkelhaariger, gut aussehender Herr, der düster, aber elegant in Schwarz gekleidet war. »Einen Augenblick lang hatten Sie ihn«, sagte er zu Stephen.
»Es tut mir sehr Leid, Sir«, sagte Stephen, »dass ich ihn nicht festhalten konnte. Aber wie Sie sehen, habe ich Ihr Eigentum.« Stephen hielt dem Mann den silbernen Stab und das rote Samttuch hin, aber der Mann nahm die Dinge nicht an.
»Meine Mutter ist schuld!«, sagte der Herr ärgerlich. »Ach! Wie konnte sie nur so nachlässig sein? Tausendmal habe ich zu ihr gesagt, dass früher oder später ein Dieb einsteigen wird, wenn sie das Fenster im Salon öffnet. Habe ich das nicht hundertmal gesagt, Edward? Oder etwa nicht, John?« Letzteres galt den Dienern, die ihren Herrn eingeholt hatten. Sie waren zu atemlos, um zu antworten, aber versicherten Stephen durch heftiges Nicken, dass der Herr das in der Tat gesagt hatte.
»Alle Welt weiß, dass ich meine Wertsachen im Haus aufbewahre«, fuhr der Herr fort, »und doch macht sie trotz meiner Bitten immer wieder das Fenster auf. Und jetzt sitzt sie natürlich da und weint über den Verlust dieses Schatzes, der sich seit Hunderten von Jahren im Besitz meiner Familie befindet. Meine Mutter ist sehr stolz auf unsere Familie und ihre Besitztümer. Dieses Zepter zum Beispiel beweist, dass wir von den alten Königen von Wessex abstammen, denn es hat einst Edgar oder Alfred oder sonst jemandem gehört.«
»Dann müssen Sie es zurücknehmen, Sir«, drängte Stephen. »Ihre Mutter wird sehr erleichtert sein, wenn sie es heil und unversehrt zurückbekommt.«
Der Herr streckte die Hand aus, um das Zepter zu nehmen, aber dann zog er sie plötzlich wieder zurück. »Nein!«, rief er. »Das werde ich nicht
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