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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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tun. Ich schwöre, ich werde es nicht tun. Wenn ich meiner Mutter diesen Schatz zurückbringe, dann wird sie sich die schlimmen Folgen ihrer Nachlässigkeit nicht zu Herzen nehmen. Sie wird nie lernen, das Fenster nicht zu öffnen. Und wer weiß, was mir als Nächstes gestohlen wird? Womöglich komme ich morgen in ein leeres Haus zurück. Nein, Sir, Sie müssen das Zepter behalten. Es ist die Belohnung für den Dienst, den Sie mir erwiesen haben, als Sie den Dieb festhalten wollten.«
    Die Diener des Herrn nickten, als würden sie das einsehen, und dann hielt eine Kutsche an, und der Herr und die Diener stiegen ein und fuhren davon.
    Stephen stand im Regen mit dem Diadem in der einen Hand und dem Zepter in der anderen. Vor ihm befanden sich die Geschäfte der Bond Street, die elegantesten Geschäfte im ganzen Königreich. In den Schaufenstern waren Seide und Samt, Kopfschmuck aus Perlen und Pfauenfedern, Diamanten, Rubine, andere Edelsteine und jede Art von goldenen und silbernen Schmuckstücken ausgestellt.
    Nun, dachte Stephen. Aus den Dingen in diesen Geschäften wird er zweifellos alle möglichen unheimlichen Schätze für mich machen können. Aber ich bin schlauer als er. Ich werde auf einem anderen Weg nach Hause gehen.
    Er bog in einen schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern, ging durch einen kleinen Hof, ein Tor und einen weiteren Durchgang, bis er zu einer engen Gasse kam, die von bescheidenen Häusern gesäumt war. Hier war es menschenleer und merkwürdig still. Das einzige Geräusch stammte von dem auf die Pflastersteine prasselnden Regen. Die Fassaden der Häuser waren nass und deswegen nahezu schwarz. Die Bewohner der Häuser schienen ein sehr frugales Leben zu führen, denn sie hatten trotz der Düsternis weder Lampe noch Kerze entzündet. Aber die schweren Wolken bedeckten den Himmel nicht vollständig, und am Horizont schimmerte ein wässriges weißes Licht. Zwischen dem dunklen Himmel und der dunklen Erde fiel der Regen in hellen silbrigen Bahnen.
    Ein glänzendes Etwas rollte plötzlich aus einem dunklen Durchgang über die unebenen nassen Pflastersteine und blieb genau vor Stephens Füßen liegen.
    Er betrachtete es und seufzte tief, als er erkannte, dass es, wie er erwartet hatte, ein kleiner silberner Ball war. Er hatte viele Dellen und sah alt aus. Obendrauf, wo ein Kreuz hätte darauf hinweisen sollen, dass die ganze Welt Gott gehörte, befand sich eine winzige offene Hand. Ein Finger war abgebrochen. Dieses Symbol – die offene Hand – kannte Stephen sehr gut. Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle liebte es. Erst letzte Nacht hatte Stephen an einem Umzug teilgenommen und eine Standarte mit genau diesem Emblem durch dunkle, windgepeitschte Höfe und von unermesslich hohen Eichen gesäumte Alleen getragen, in deren unsichtbaren Ästen der Wind seufzte.
    Er hörte, wie ein Schiebefenster geöffnet wurde. Eine Frau steckte ganz oben im Haus den Kopf aus dem Fenster. Ihr Haar war auf Papierwickel gedreht. »Na los, heben Sie's auf«, schrie sie und starrte Stephen wütend an.
    »Aber es gehört mir nicht«, rief Stephen.
    »Es gehört ihm nicht, sagt er!« Sie war noch wütender als zuvor. »Und vermutlich habe ich auch nicht gesehen, wie es aus Ihrer Tasche gefallen und davongerollt ist. Und vermutlich heiße ich auch nicht Mariah Tompkins. Und vermutlich schufte ich auch nicht Tag und Nacht, um die Pepper Street sauber zu halten, aber Sie müssen herkommen mit dem Vorsatz, Ihren Abfall hier wegzuschmeißen.«
    Mit einem schweren Seufzer hob Stephen den Reichsapfel auf. Was immer Mariah Tompkins sagte oder glaubte, er war so schwer, dass er, hätte er ihn in die Tasche gesteckt, Gefahr gelaufen wäre, den Stoff damit zu zerreißen. So musste er mit dem Zepter in der einen Hand und dem Reichsapfel in der anderen durch den Regen gehen. Das Diadem setzte er sich auf den Kopf, da er der angemessene Ort dafür war, und so geschmückt machte er sich auf den Heimweg.
    Nachdem er in dem Haus in der Harley Street angekommen war, stieg er die Treppe zur Küche hinunter und öffnete die Tür. Er fand sich nicht, wie erwartet, in der Küche wieder, sondern in einem Raum, den er nie zuvor gesehen hatte. Er musste dreimal niesen.
    Ein kurzer Blick genügte ihm, um festzustellen, dass er nicht in Verlorene Hoffnung war. Es war ein ganz normales Zimmer – ein Zimmer, wie man es in jedem wohlhabenden Haus in London finden konnte. Es herrschte allerdings eine bemerkenswerte Unordnung. Die Bewohner, die

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