Jonathan Strange & Mr. Norrell
vermutlich gerade erst eingezogen waren, schienen mitten beim Auspacken zu sein. Alle Gegenstände, die üblicherweise in ein Wohn- oder Studierzimmer gehörten, standen und lagen herum: Kartentische, Arbeitstische, Lesepulte, Schürhaken, unterschiedlich bequeme und nützliche Stühle, Spiegel, Teetassen, Siegelwachs, Kerzenhalter, Gemälde, Bücher (eine große Anzahl Bücher), Sandstreuer, Tintenfässer, Federkiele, Papier, Uhren, Zwirnrollen, Fußschemel, Kaminschirme und Schreibtische. Aber alles war durcheinander, eins stand auf dem anderen in neuen und überraschenden Kombinationen. Überall waren Packkisten und Bündel, manche ausgepackt, manche halb ausgepackt und andere kaum geöffnet. Das Stroh war aus den Kisten gerissen worden und lag jetzt überall verstreut im Zimmer und auf den Möbeln und verstaubte die Luft, so dass Stephen zwei weitere Male niesen musste. Stroh war auch in den Kamin gefallen, und es bestand große Gefahr, dass das Zimmer jeden Augenblick in Flammen aufging.
In dem Raum befanden sich zwei Personen: ein Mann, den Stephen noch nie zuvor gesehen hatte, und der Herr mit dem Haar wie Distelwolle. Der Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte, saß an einem kleinen Tisch am Fenster. Vermutlich hätte er die Sachen auspacken und das Zimmer aufräumen sollen, aber er hatte diese Arbeit unterbrochen und las in einem Buch. Hin und wieder hielt er inne und schlug in zwei oder drei anderen Büchern, die ebenfalls auf dem Tisch lagen, etwas nach, murmelte erregt vor sich hin und notierte rasch etwas in einem kleinen, mit Tintenflecken übersäten Heft.
Unterdessen saß der Herr mit dem Haar wie Distelwolle in einem Sessel auf der anderen Seite des Kamins und bedachte den anderen Mann mit einem so unglaublich bösartigen und wütenden Blick, dass Stephen um das Leben des Mannes fürchtete. Aber kaum hatte der Herr mit dem Haar wie Distelwolle Stephen bemerkt, war er ganz Freude, ganz Liebenswürdigkeit. »Ah, da sind Sie ja!«, rief er. »Wie vornehm Sie mit Ihren königlichen Insignien aussehen.«
Zufälligerweise stand ein großer Spiegel der Tür gegenüber. Zum ersten Mal erblickte sich Stephen mit der Krone, dem Zepter und dem Reichsapfel. Er sah von Kopf bis Fuß wie ein König aus. Er schaute zu dem Mann am Tisch, um festzustellen, wie er auf den plötzlichen Auftritt eines schwarzen Mannes mit Krone reagieren würde.
»Ach, kümmern Sie sich nicht um ihn« , sagte der Herr mit dem Haar wie Distelwolle. »Er kann uns weder sehen noch hören. Er hat auch nicht mehr Talent als der andere. Schauen Sie.« Er knüllte ein Blatt Papier zusammen und warf es dem Mann an den Kopf. Weder zuckte der Mann zusammen, noch blickte er auf; er schien nichts mitbekommen zu haben.
»Als der andere, Sir?«, sagte Stephen. »Wen meinen Sie?«
»Das ist der jüngere Zauberer. Der vor kurzem in London angekommen ist.«
»Wirklich? Ich habe natürlich von ihm gehört. Sir Walter hat eine hohe Meinung von ihm. Aber ich muss gestehen, dass ich seinen Namen vergessen habe.«
»Ach, wen kümmert, wie er heißt! Entscheidend ist, dass er ebenso dumm ist wie der andere und fast genauso hässlich.«
»Was?«, sagte der Zauberer plötzlich. Er wandte sich von seinem Buch ab und sah sich etwas argwöhnisch im Raum um. »Jeremy!«, rief er sehr laut.
Ein Diener steckte den Kopf zur Tür herein, machte sich jedoch nicht die Mühe, das Zimmer zu betreten. »Sir?«, sagte er.
Angesichts dieses schludrigen Verhaltens riss Stephen die Augen auf – so etwas hätte er in der Harley Street nie geduldet. Er ließ es sich angelegen sein, den Mann kalt anzustarren, um ihm zu zeigen, was er von ihm hielt, aber dann fiel ihm ein, dass der Mann ihn nicht sehen konnte.
»Die Londoner Häuser sind schrecklich schlecht gebaut«, sagte der Zauberer. »Ich höre die Leute im Nachbarhaus.«
Das war ausreichend interessant, um den Diener namens Jeremy ins Zimmer zu locken. Er stand da und horchte.
»Sind alle Wände so dünn?«, fuhr der Zauberer fort. »Meinst du, dass damit etwas nicht in Ordnung ist?«
Jeremy klopfte gegen die Wand, die dieses Haus vom nächsten trennte. Sie reagierte mit einem so dumpfen satten Laut wie jede dicke, gut gebaute Mauer im Königreich. Er beschloss, sich nicht darum zu kümmern, und sagte: »Ich höre nichts, Sir. Was haben die Stimmen gesagt?«
»Ich glaube, der eine hat den anderen dumm und hässlich genannt.«
»Sind Sie sicher, Sir? Im Nachbarhaus wohnen zwei alte Damen.«
»Ha! Das sagt
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