Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
Wasserfläche. 55 Im Unterschied zu Mr. Norrell benutzte er keine Silberschale – das traditionelle Gefäß für Visionen. Strange war der Ansicht, dass man in einer Schale so wenig sehen konnte, dass sich der Zauber kaum lohnte. Er wartete lieber, bis die Dienstboten den Tisch abgeräumt und das Tischtuch entfernt hatten, dann schüttete er ein Glas Wein oder Wasser auf dem Tisch aus und zauberte Visionen in die Lache. Glücklicherweise waren seine Gastgeber im Allgemeinen so begeistert von seiner Zauberei, dass sie sich nur selten über die Flecken auf Tisch und Teppich beschwerten.
    Mr. und Mrs. Strange ihrerseits hatten sich zu ihrer Zufriedenheit in London eingelebt. Sie hatten ein Haus am Soho Square gefunden, und Arabella war vollauf damit beschäftigt, ihr neues Heim zu gestalten: Sie gab bei Tischlern elegante neue Möbel in Auftrag, bat ihre Freunde, ihr zu zuverlässigen Dienstboten zu verhelfen, und suchte jeden Tag Geschäfte auf.
    Eines Morgens Mitte Dezember erhielt sie von einem Verkäufer der Polsterei Haig und Chippendale (eine sehr aufmerksame Person) die Nachricht, dass eine bronzefarbene Seide mit alternierenden Satin- und Moirestreifen im Geschäft eingetroffen sei, die sich seiner Meinung nach ganz ausgezeichnet für Mrs. Stranges Salonvorhänge eignen würde. Dies erforderte eine geringfügige Umorganisation von Arabellas Tagesablauf.
    »Mr. Sumners Beschreibung lässt darauf schließen, dass der Stoff sehr elegant ist«, sagte sie zu Strange während des Frühstücks, »und ich glaube, dass er mir sehr gut gefallen wird. Aber wenn ich mich bei den Vorhängen für bronzefarbene Seide entscheide, dann werde ich wohl die Idee aufgeben müssen, weinroten Samt für die Chaiselongue zu verwenden. Ich glaube nicht, dass Bronze und Weinrot zusammenpassen. Deswegen werde ich zu Flint und Clark gehen, um mir noch einmal den weinroten Samt anzusehen und herauszufinden, ob ich ihn aufgeben kann. Anschließend werde ich zu Haig und Chippendale gehen. Aber das bedeutet, dass ich keine Zeit haben werde, um deine Tante zu besuchen – was ich wirklich tun sollte, weil sie heute Vormittag noch nach Edinburgh abreist. Ich wollte mich bei ihr bedanken, weil sie Mary für uns gefunden hat.«
    »Mmm?«, sagte Strange, der warme Brötchen mit Marmelade aß und in Wunderliche Beobachtungen die Anatomie der Elfen betreffend von Holgarth und Pickle las. 56
    »Mary. Das neue Dienstmädchen. Du hast sie gestern Abend gesehen.«
    »Aha«, sagte Strange und blätterte um.
    »Sie scheint ein nettes, freundliches, ruhiges Mädchen zu sein. Ich glaube, wir werden sehr zufrieden mit ihr sein. Also, wie gesagt, ich wäre sehr dankbar, Jonathan, wenn du heute Morgen deine Tante aufsuchen würdest. Du kannst nach dem Frühstück in die Henrietta Street gehen und ihr für Mary danken. Dann könntest du zu Haig und Chippendale gehen und dort auf mich warten. Ach, und könntest du bei Wedgwood und Byerly vorbeischauen und fragen, wann das neue Service fertig sein wird? Das macht kaum Mühe. Es liegt praktisch auf deinem Weg.« Sie sah ihn zweifelnd an. »Jonathan, hörst du mir zu?«
    »Mmm?«, sagte Strange und blickte auf. »Aber selbstverständlich.«
    Begleitet von einem Diener ging Arabella in die Wigmore Street, wo sich das Geschäft von Flint und Clark befand. Nachdem sie den weinroten Samt ein zweites Mal begutachtet hatte, kam sie zu dem Schluss, dass er zwar wunderschön, insgesamt jedoch zu dunkel war. Daraufhin machte sie sich voller Vorfreude auf in die Martin's Lane, um sich die bronzefarbene Seide anzusehen. Als sie bei Haig und Chippendale ankam, wartete der Verkäufer, nicht jedoch ihr Gatte auf sie. Der Verkäufer entschuldigte sich vielmals, aber Mr. Strange sei den ganzen Morgen über nicht da gewesen.
    Sie trat erneut auf die Straße.
    »George, siehst du hier irgendwo deinen Herrn?«, fragte sie den Diener.
    »Nein, Madam.«
    Ein grauer Regen begann zu fallen. Eine Art Ahnung veranlasste sie, in das Schaufenster einer Buchhandlung zu blicken. Sie sah Strange, der sich angeregt mit Sir Walter Pole unterhielt. Sie betrat den Laden, entrichtete Sir Walter einen guten Morgen und erkundigte sich freundlich bei ihrem Mann, ob er bei seiner Tante und bei Wedgwood und Byerly gewesen sei.
    Strange schien angesichts dieser Frage etwas verdutzt. Er blickte an sich hinunter und musste feststellen, dass er ein dickes Buch in der Hand hielt. Er runzelte die Stirn, als hätte er keine Ahnung, wie es dorthin gekommen war.

Weitere Kostenlose Bücher