Jonathan Strange & Mr. Norrell
kümmerte es ihn. Er wünschte, er wäre nie nach London gekommen. Er wünschte, er hätte nie den Versuch unternommen, die englische Zauberei wiederzubeleben. Er wünschte, er wäre in Hurtfew Abbey geblieben, um zu seinem eigenen Vergnügen zu lesen und zu zaubern. Nichts, so dachte er, war den Verlust von vierzig Büchern wert.
Nachdem Lord Liverpool und Strange sich verabschiedet hatten, ging er in die Bibliothek, um sich die vierzig Bücher anzusehen, sie festzuhalten und zu bewahren, solange er konnte.
Childermass war immer noch da. Er hatte das Abendessen an einem der Tische eingenommen und kümmerte sich gerade um die Haushaltsbücher. Als Mr. Norrell eintrat, blickte er auf und grinste. »Ich glaube, Mr. Strange wird sich im Krieg gut behaupten, Sir. Sie hat er bereits ausmanövriert.«
In einer mondhellen Nacht Anfang Februar segelte ein britisches Schiff namens St. Serlos Segen 63 den Tejo hinauf und legte vor der Praca do Comercio mitten in Lissabon an. Unter den Ersten, die von Bord gingen, waren Strange und sein Diener Jeremy Johns.
Strange war noch nie zuvor in einem fremden Land gewesen, und er fand die Tatsache an sich sowie die lärmende Geschäftigkeit von Heer und Marine, die ihn umgab, überaus erfrischend. Er konnte es kaum erwarten, mit dem Zaubern anzufangen.
»Ich frage mich, wo Lord Wellington ist«, sagte er zu Jeremy Johns. »Meinst du, einer von diesen Burschen weiß Bescheid?«
Neugierig blickte er auf eine riesige, halb fertige Festungsmauer am Ende des Platzes. Sie machte einen sehr militärischen Eindruck, und es hätte Strange nicht im Geringsten überrascht zu erfahren, dass Lord Wellington sich irgendwo dahinter aufhielt.
»Aber es ist zwei Uhr morgens, Sir«, sagte Jeremy. »Seine Lordschaft wird schlafen.«
»Ach, meinst du wirklich? Obwohl das Schicksal ganz Europas in seinen Händen liegt? Wahrscheinlich hast du Recht.«
Widerwillig erklärte Strange sich bereit, fürs Erste ins Hotel zu gehen und Lord Wellington am nächsten Morgen zu suchen.
Man hatte ihnen ein Hotel in der Schuhmacher-Straße empfohlen, das einem Mr. Prideaux aus Cornwall gehörte. Mr. Prideaux' Gäste setzten sich hauptsächlich aus britischen Offizieren zusammen, die soeben aus England nach Portugal zurückgekehrt waren oder die auf ihr Schiff in den Heimaturlaub warteten. Mr. Prideaux wollte, dass die Offiziere sich während ihres Aufenthalts in seinem Hotel so heimisch wie möglich fühlten. Das gelang ihm nur teilweise. Er konnte tun, was er wollte, doch Portugal drängte sich der Aufmerksamkeit seiner Gäste ständig auf. Tapete und Möbel mochten zwar sämtlich aus London hergeschafft worden sein, doch eine portugiesische Sonne hatte sie fünf Jahre lang beschienen und auf eine bestimmte portugiesische Art ausgeblichen. Mr. Prideaux mochte den Koch anweisen, eine englische Speisekarte anzubieten, doch der Koch war Portugiese, und so war immer mehr Pfeffer und Öl im Essen, als die Gäste erwarteten. Selbst die Stiefel der Gäste sahen etwas portugiesisch aus, nachdem der portugiesische Stiefelknecht sie gewichst hatte.
Strange stand am nächsten Morgen spät auf. Er nahm ein ausgiebiges Frühstück ein und schlenderte danach ein Stündchen umher. Lissabon stellte sich als eine Stadt mit arkadengesäumten Plätzen, eleganten modernen Gebäuden, Statuen, Theatern und Geschäften heraus. Er begann zu glauben, dass der Krieg so schrecklich nicht sein konnte.
Als er ins Hotel zurückkam, sah er vier oder fünf britische Offiziere, die im Eingang des Hotels standen und sich eifrig miteinander unterhielten. Das war genau die Gelegenheit, auf die er gehofft hatte. Er trat auf sie zu, bat um Verzeihung für die Unterbrechung, erklärte, wer er war, und fragte, wo in Lissabon Lord Wellington zu finden wäre.
Die Offiziere drehten sich zu ihm um und warfen ihm einen ziemlich überraschten Blick zu. Es schien, als habe er die falsche Frage gestellt, doch er wusste nicht, weshalb. »Lord Wellington ist nicht in Lissabon«, sagte einer, ein Mann mit der blauen Jacke und den weißen Stiefeln der Husaren.
»Ach! Wann kommt er denn zurück?«, fragte Strange.
»Zurück?«, sagte der Offizier. »Nicht in den nächsten Wochen -nein, Monaten, nehme ich an. Vielleicht nie.«
»Wo kann ich ihn dann finden?«
»Gütiger Himmel!«, sagte der Offizier. »Er kann überall sein.«
»Wissen Sie nicht, wo er ist?«, fragte Strange.
Der Offizier blickte ihn sehr streng an. »Lord Wellington bleibt nicht an einem
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