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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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als müsste ich nur mit ihnen etwas trinken, ihnen genug Gin kaufen und sie sprechen lassen, dann würde schon eine von ihnen die Karten auf den Tisch legen. Nun, ich hatte Recht. Vor drei Wochen erzählte mir Nan Purvis eine Geschichte, die mich schließlich auf die Spur zu Vinculus' Buch führte.«
    »Welche ist Nan Purvis?«, erkundigte sich Lascelles.
    »Die Erste. Sie erzählte mir etwas, das sich zu Anfang ihrer Ehe vor zwanzig oder dreißig Jahren zugetragen hatte. Vinculus und sie waren zusammen in einer Schänke gewesen. Sie hatten ihr gesamtes Geld ausgegeben und konnten nichts mehr anschreiben lassen, und es war Zeit, in ihre Unterkunft zurückzukehren. Sie taumelten auf der Straße dahin, und im Rinnstein fanden sie ein Wesen, das noch betrunkener war als sie. Ein alter Mann lag dort, er war sturzbesoffen. Das dreckige Wasser strömte um ihn herum und über sein Gesicht, und nur durch Zufall ertrank er nicht darin. Irgendetwas an dem armen Kerl erregte Vinculus' Aufmerksamkeit. Er kam ihm irgendwie bekannt vor. Er sah ihn sich genauer an. Dann lachte er und versetzte dem alten Mann einen heftigen Tritt. Nan fragte Vinculus, wer der Mann sei. Vinculus sagte, er heiße Clegg. Sie fragte, woher er ihn kenne. Vinculus antwortete wütend, er kenne Clegg nicht. Er sagte, er habe Clegg noch nie gekannt. Mehr noch, er erzählte ihr, er sei fest entschlossen, Clegg nie zu kennen. Kurz: Es gab niemanden auf der Welt, den er mehr verachtete als Clegg. Als Nan sich beschwerte, dass dies keine vollständige Erklärung sei, meinte Vinculus unwillig, der Mann sei sein Vater. Danach weigerte er sich, noch mehr zu sagen.«
    »Aber wo ist nun der Zusammenhang?«, unterbrach Mr. Norrell. »Warum hast du diese Frauen nicht nach dem Buch gefragt?«
    Childermass blickte ärgerlich drein. »Das habe ich doch getan, Sir. Vor vier Jahren. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich es Ihnen erzählt habe. Keine von ihnen wusste etwas.«
    Mit einer entnervten Handbewegung bedeutete Mr. Norrell Childermass, fortzufahren.
    »Ein paar Monate später war Nan in einem Wirtshaus und hörte einen Bericht über eine Hinrichtung durch Erhängen, den jemand aus der Zeitung vorlas. Nan liebte es, Geschichten von einer guten Hinrichtung zu hören, und dieser Bericht beeindruckte sie besonders, weil der Mann, der gehängt worden war, Clegg hieß. Sie merkte sich die Geschichte, und am Abend erzählte sie sie Vinculus. Zu ihrer Überraschung musste sie feststellen, dass er schon alles darüber wusste und dass es tatsächlich sein Vater gewesen war. Vinculus war hocherfreut, dass Clegg gehängt worden war. Er sagte, Clegg habe es voll und ganz verdient, Clegg habe sich eines schrecklichen Verbrechens schuldig gemacht – des schlimmsten Verbrechens, das in England in den letzten hundert Jahren begangen worden war.«
    »Was für ein Verbrechen?«, fragte Lascelles.
    »Zunächst konnte Nan sich nicht entsinnen«, sagte Childermass. »Aber nach hartnäckigem Nachfragen und der Aussicht auf mehr Gin erinnerte sie sich. Er hatte ein Buch gestohlen.«
    »Ein Buch!«, entfuhr es Mr. Norrell.
    »Oh, Mr. Norrell!«, rief Drawlight. »Es muss dasselbe Buch sein. Es muss Vinculus' Buch sein!«
    »Stimmt das?«, fragte Mr. Norrell.
    »Ich glaube schon«, sagte Childermass.
    »Aber wusste diese Frau, um welches Buch es sich handelte?«, sagte Mr. Norrell.
    »Nein, damit waren Nans Informationen erschöpft. Also ritt ich Richtung Norden nach York, wo man Clegg den Prozess gemacht und ihn hingerichtet hatte. Dort studierte ich die Verhandlungsprotokolle von damals. Das Erste, was ich herausfand, ist, dass Clegg ursprünglich aus Richmond in Yorkshire stammte. Oh ja!« Hierbei warf Childermass Mr. Norrell einen bedeutungsschwangeren Blick zu. »Vinculus kommt ursprünglich aus Yorkshire. 66 Clegg arbeitete zunächst als Seiltänzer auf Jahrmärkten im Norden, doch Seiltanz ist kein Beruf, der sich gut mit der Trinkerei verträgt – und Clegg war berühmt für seine Trinkerei –, also musste er das aufgeben. Er kehrte nach Richmond zurück und verdingte sich als Dienstbote auf einem wohlhabenden Bauernhof. Dort stellte er sich schlau an und beeindruckte den Bauern mit seiner Geschicklichkeit, daher übertrug man ihm bald zahlreiche weitere Aufgaben. Gelegentlich ging er mit ein paar üblen Genossen zum Trinken, und dabei blieb es nie bei einer oder zwei Flaschen. Er trank, bis die Zapfhähne versiegten und die Keller leer waren. Er war tagelang sturzbetrunken, und

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