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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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kauen.
    »Vielleicht war es auf Latein«, schlug Lascelles vor. »Und wie kommen Sie darauf, dass Findhelm kein Latein konnte?«, antwortete Childermass etwas gereizt. »Nur, weil er Bauer war...«
    »Oh! Ich wollte nicht die Bauern im Allgemeinen geringschätzen, das kann ich Ihnen versichern«, sagte Lascelles und lachte. »Der Beruf ist von großem Nutzen. Aber Bauern sind gemeinhin nicht für ihre umfassende klassische Bildung bekannt. Hätte dieser Mensch Latein überhaupt erkannt, wenn er es gesehen hätte?« Childermass erwiderte scharf, dass Findhelm Latein natürlich erkannt hätte. Er sei kein Dummkopf gewesen.
    Worauf Lascelles kühl antwortete, das habe er nie behauptet. Die Auseinandersetzung spitzte sich zu, bis beide plötzlich von Mr. Norrell zum Schweigen gebracht wurden, der langsam und nachdenklich sagte: »Als der Rabenkönig nach England kam, konnte er weder lesen noch schreiben. Kaum jemand konnte das damals – nicht einmal Könige. Und der Rabenkönig war in einem Elfenhaus aufgewachsen, in dem es nichts Geschriebenes gab. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas Geschriebenes gesehen. Seine neuen Menschendiener zeigten es ihm und erklärten ihm den Sinn und Zweck. Doch damals war er ein junger Mann, ein sehr junger Mann von vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahren. Er hatte bereits Königreiche in zwei verschiedenen Welten erobert, und er verfügte über all die Zauberkraft, die sich ein Zauberer nur wünschen kann. Er war von Stolz und Arroganz erfüllt. Er hatte nicht den Wunsch, anderer Leute Gedanken zu lesen. Was waren anderer Leute Gedanken im Vergleich zu seinen eigenen? Deshalb weigerte er sich, Latein lesen und schreiben zu lernen – wie es seine Dienstboten wollten –, und erfand stattdessen eine eigene Schrift, um seine Gedanken für spätere Zeiten zu bewahren. Vermutlich gab diese Schrift seine eigenen Werke sehr viel besser wieder, als Latein es vermocht hätte. Das war ganz zu Anfang. Aber je länger er in England blieb, desto mehr veränderte er sich und wurde weniger schweigsam, weniger eigenbrötlerisch – weniger wie ein Elf und mehr wie ein Mensch. Schließlich willigte er ein, lesen und schreiben zu lernen wie andere Menschen auch. Doch er vergaß seine eigene Schrift nicht – die Lettern des Königs, wie man sie nannte – und lehrte sie bevorzugte Zauberer, damit sie seine Zauberei noch besser verstanden. Martin Pale erwähnt die Lettern des Königs, genau wie Belasis, doch keiner der beiden hat je auch nur einen Federstrich davon gesehen. Falls davon ein Schriftstück überlebt hat und tatsächlich aus der Feder des Königs stammt, dann gibt es sicherlich...« Mr. Norrell verstummte wieder.
    »Nun, Mr. Norrell«, sagte Lascelles. »Heute Abend stecken Sie voller Überraschungen. So viel Bewunderung für einen Mann, den Sie immer zu hassen und zu verabscheuen vorgaben.«
    »Meine Bewunderung schmälert meinen Hass keinen Deut«, entgegnete Mr. Norrell scharf. »Ich sagte, er war ein großer Zauberer. Ich sagte nicht, dass er ein guter Mensch war oder dass ich seinen Einfluss auf die englische Zauberei begrüße. Überdies war das, was Sie gerade hörten, meine persönliche Meinung und ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Childermass weiß das. Childermass versteht das.«
    Mr. Norrell warf Drawlight einen nervösen Blick zu, doch Drawlight hörte schon seit einer Weile nicht mehr zu – sobald er herausgefunden hatte, dass Childermass' Geschichte niemanden aus der eleganten Welt betraf, sondern nur Bauern und betrunkene Dienstboten aus Yorkshire. Im Moment war er damit beschäftigt, seine Schnupftabaksdose mit einem Taschentuch zu reinigen.
    »Und Clegg hat dieses Buch gestohlen?«, sagte Lascelles zu Childermass. »Läuft deine Geschichte darauf hinaus?«
    »Sozusagen. Im Herbst 1754 gab Findhelm Clegg das Buch und bat ihn, es einem Mann in einem Dorf namens Bretton in Derbyshire Peak zu überbringen. Warum, weiß ich nicht. Clegg brach auf, und am zweiten oder dritten Tag seiner Reise erreichte er Sheffield. Er machte in einem Wirtshaus Halt, und dort gesellte er sich zu einem Mann, Schmied von Beruf, dessen Ruf als Trinker fast so legendär war wie seiner. Sie nahmen einen Trinkwettbewerb auf, der zwei Tage und zwei Nächte dauerte. Zu Anfang tranken sie nur, um festzustellen, wer mehr trinken konnte, doch am nächsten Tag begannen sie sich verrückte, betrunkene Aufgaben zu stellen. In der Ecke stand ein Fass mit Salzheringen. Clegg forderte den

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