Jonathan Strange & Mr. Norrell
Sir«, pflichtete Stephen ihm bei. Er hielt inne, denn seine ganze Zukunft schien von der nächsten Frage abzuhängen. »Gibt es etwas, das Sie daran hindert?«
»Ja, Stephen. In gewisser Hinsicht schon.«
»Ich verstehe«, sagte Stephen. »Nun, das ist sehr bedauerlich.«
»Möchten Sie denn nicht wissen, worum es sich handelt?«, fragte der Herr.
»Oh doch, Sir! Unbedingt, Sir!«
»Sie sollen wissen«, sagte der Herr und setzte ein ernstes und gewichtiges Gesicht auf, das seinem sonstigen Ausdruck so gar nicht ähnelte, »dass wir Elfengeister in die Zukunft sehen können. Das Schicksal wählt uns häufig als Überbringer von Weissagungen. In der Vergangenheit haben wir unsere Hilfe Christen zukommen lassen, damit sie große und ehrwürdige Taten vollbringen konnten – Julius Cäsar, Alexander der Große, Karl der Große, William Shakespeare, John Wesley und so weiter. 69 Doch oft ist unser Wissen um die Dinge, die da kommen, verschwommen und« – der Herr machte wilde Gesten, als wische er dicke Spinnweben von seinem Gesicht – »unvollkommen. Aus Liebe zu Ihnen, Stephen, habe ich dem Rauch von brennenden Städten und Schlachtfeldern nachgespürt und sterbenden Menschen ihre bluttriefenden Gedärme entrissen, um Ihre Zukunft zu enthüllen. Sie sind tatsächlich zum König bestimmt! Ich muss wohl nicht sagen, dass ich nicht im Geringsten überrascht bin. Ich hatte von Anfang an das starke Gefühl, dass Sie König sein sollten, und es war äußerst unwahrscheinlich, dass ich mich irre. Doch mehr noch, ich glaube sogar zu wissen, welches Königreich Ihnen gehören wird. Der Rauch und die Gedärme und all die anderen Hinweise sagen ganz ausdrücklich, dass es sich um ein Königreich handelt, in dem Sie schon einmal waren. Ein Königreich, mit dem Sie eng verbunden sind.«
Stephen wartete.
»Aber sehen Sie es denn nicht?«, rief der Herr ungeduldig. »Es muss England sein! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie begeistert ich war, als ich diese wichtigen Neuigkeiten erfuhr.«
»England!«, rief Stephen aus.
»Jawohl! Nichts könnte für England vorteilhafter sein denn Sie als König. Der alte König ist alt und blind, und was seine Söhne betrifft: Sie sind allesamt fett und betrunken! Jetzt also wissen Sie, warum ich Sie nicht nach Verlorene Hoffnung mitnehmen kann. Es wäre zutiefst unrecht von mir, Sie Ihrem rechtmäßigen Königreich zu entreißen.«
Stephen saß einen Moment lang da und versuchte zu begreifen. »Aber könnte das Königreich nicht auch irgendwo in Afrika sein?«, sagte er schließlich. »Vielleicht bin ich dazu bestimmt, meinen Weg dorthin zurückzufinden, und vielleicht werden die Leute dort mich durch irgendein seltsames Omen als Abkömmling eines ihrer Könige erkennen?«
»Vielleicht«, sagte der Herr zweifelnd. »Aber nein! Das kann gar nicht sein. Denn, wissen Sie, es ist ein Königreich, in dem Sie schon einmal waren . Und Sie waren noch nie in Afrika. Oh, Stephen! Wie sehr ich Ihr wunderbares Schicksal erfüllt sehen möchte. An dem Tag werde ich meine Königreiche mit Großbritannien verbünden – und Sie und ich werden in vollkommener Freundschaft und Bruderschaft miteinander leben. Stellen Sie sich einmal vor, wie verwirrt unsere Feinde sein werden! Stellen Sie sich einmal vor, wie sich die Zauberer vor Wut verzehren werden! Wie sie sich verfluchen werden, weil sie uns nicht respektvoller behandelt haben!«
»Aber ich glaube, Sie irren sich, Sir. Ich kann England nicht regieren. Nicht mit dieser« – er streckte die Hand aus – schwarzen Haut , dachte er. Laut fuhr er fort: »Nur Sie, Sir, mit Ihrer Vorliebe für mich, könnten so etwas für möglich halten. Sklaven werden nicht zu Königen, Sir.«
»Sklave, Stephen? Was meinen Sie damit?«
»Ich wurde in die Sklaverei geboren, Sir. Wie viele andere meiner Rasse. Meine Mutter war Sklavin auf einem Anwesen in Jamaika, das Sir Walters Großvater gehörte. Als ihm die Schulden über den Kopf wuchsen, fuhr Sir William nach Jamaika, um das Anwesen zu verkaufen – und eines der Besitztümer, die er mitbrachte, war meine Mutter. Er wollte sie als Dienstbotin in sein Haus bringen, doch während der Reise kam ich auf die Welt, und sie starb.«
»Ha!«, rief der Herr triumphierend aus. »Dann ist es also genauso, wie ich gesagt habe! Sie und Ihre geschätzte Mutter wurden von den bösen Engländern versklavt und durch ihre Machenschaften erniedrigt.«
»Nun, ja, Sir. In gewisser Hinsicht stimmt das. Aber jetzt bin ich kein
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