Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
Außenposten in einem bewaldeten Tal, das von den Scots Guards, den Coldstream Guards, den Nassauern und den Hannoveranern verteidigt wurde. Strange beschwor in seiner Silberschale eine Vision nach der anderen herauf, damit er die blutigen Kämpfe in den Wäldern um das Chateau beobachten konnte. Er zog halbherzig in Betracht, die Bäume zu versetzen, um den alliierten Soldaten bessere Schussmöglichkeiten auf ihre Angreifer zu bieten, doch diese Art des Nahkampfes war wirklich am denkbar schlechtesten für Zauberei geeignet. Er erinnerte sich daran, dass ein Soldat im Krieg mehr Schaden anrichten konnte, wenn er zu rasch oder zu unüberlegt handelte, als wenn er gar nicht handelte. Er wartete ab.
    Die Kanonade wurde heftiger. Britische Veteranen berichteten ihren Freunden, dass sie noch nie einen solchen Kugelhagel erlebt hätten. Männer sahen, wie ihre Kameraden von Kanonenkugeln zweigeteilt, zerstückelt oder geköpft wurden. Selbst die Luft bebte vor den Erschütterungen der Geschütze. »Heftiger Beschuss, das hier«, bemerkte der Herzog kühl und wies die Frontreihen an, sich hinter den Hügelkamm zurückzuziehen und hinzulegen. Als es vorbei war, hoben die Alliierten die Köpfe, um zu sehen, wie die französische Infanterie durch das rauchschwangere Tal vordrang: sechzehntausend Männer, Schulter an Schulter in riesigen Kolonnen, alle schreiend und vorwärts stampfend.
    Mehr als ein Soldat fragte sich, ob die Franzosen endlich einen eigenen Zauberer gefunden hatten; die französischen Infanteristen kamen ihnen viel größer als normale Menschen vor, und das Licht in ihren Augen loderte beim Näherkommen vor fast übernatürlicher Raserei. Doch dies war lediglich der Zauber Napoleon Buonapartes. Keiner verstand es besser als er, seine Soldaten darauf einzuschwören, den Feind in Angst und Schrecken zu versetzen, und sie so aufzustellen, dass jeder Zuschauer sie für unbesiegbar hielt.
    Jetzt wusste Strange genau, was zu tun war. Der dicke, klebrige Schlamm erwies sich bereits als entscheidende Erschwernis für die vordringenden Soldaten. Um sie noch mehr zu behindern, begann er, die Roggenhalme zu verzaubern, so dass sie sich um die Füße der Franzosen wanden. Die Halme waren so fest wie Draht; die Soldaten stolperten und fielen hin. Mit etwas Glück würden sie im Schlamm feststecken, bis sie von ihren Kameraden niedergetrampelt wurden – oder von der französischen Kavallerie, die direkt hinter ihnen auftauchte. Doch es war eine anspruchsvolle Aufgabe, und trotz aller Anstrengung beeinträchtigte Stranges erster Zauber die Franzosen nicht mehr als der Schuss eines geschickten Musketiers oder Grenadiers.
    Ein Adjutant kam mit unerhörter Geschwindigkeit herangeflogen und drückte Strange einen Streifen Ziegenhaut mit den Worten »Nachricht von Seiner Durchlaucht!« in die Hand. Augenblicklich war er wieder weg.
    Französische Granaten haben das Château von Hougoumont in Brand gesetzt. Löschen Sie die Flammen .
    Wellington
    Strange beschwor eine weitere Vision von Hougoumont herauf. Seit er das Château zuletzt gesehen hatte, hatten die Männer dort ziemlich gelitten. In jedem Raum lagen Verwundete beider Seiten. Der Heuschober, Nebengebäude und das Schloss selbst brannten. Überall war schwarzer beißender Rauch. Pferde schrien und verletzte Männer versuchten davonzukriechen – aber sie wussten nicht, wohin. Währenddessen wütete um sie herum weiterhin die Schlacht. In der Kapelle fand Strange sechs Heiligenbilder, die auf die Wände gemalt waren. Sie waren sieben oder acht Fuß hoch und hatten seltsame Proportionen – das Werk, so schien es, eines begeisterten Amateurs. Sie trugen lange braune Bärte und hatten große melancholische Augen.
    »Die gehen!«, murmelte er vor sich hin. Auf seinen Befehl hin stiegen die Heiligen von den Wänden. Sie bewegten sich ruckartig wie Marionetten, aber dennoch mit einer gewissen Leichtigkeit und Anmut. Sie schritten durch die Reihen Verwundeter auf einen Brunnen zu, der sich in einem der Höfe befand. Hier zogen sie Wassereimer heraus, die sie zu den Flammen trugen. Alles lief gut, bis zwei von ihnen (vielleicht der Heilige Petrus und der Heilige Hieronymus) Feuer fingen und abbrannten – da sie lediglich aus Farbe und Zauber bestanden, brannten sie ziemlich leicht. Strange überlegte gerade, wie er die Situation retten konnte, als ein Teil einer explodierten französischen Granate den Rand seiner Silberschale traf und sie fünfzig Yards nach rechts

Weitere Kostenlose Bücher