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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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den Soldaten und den zurückweichenden Franzosen über das Schlachtfeld. Zwischen den Toten und den Sterbenden lagen die großen Erdhände verstreut, die er geschaffen hatte. Sie schienen in einer Geste aus Entsetzen und Schrecken erstarrt zu sein, als sei selbst der Boden verzweifelt. Als er auf gleicher Höhe mit den französischen Kanonen, die den alliierten Soldaten so großen Schaden zugefügt hatten, stand, vollführte er einen letzten Zauberakt. Er formte weitere Hände aus Erde. Die Hände griffen nach den Kanonen und zogen sie unter die Erde.
    Auf der anderen Seite des Schlachtfelds, im Gasthaus zur Belle Alliance, fand er den Herzog mit dem preußischen General, Fürst Blücher. Der Herzog nickte ihm zu und sagte: »Begleiten Sie mich zum Abendessen.«
    Fürst Blücher schüttelte dankbar seine Hand und sagte etwas auf Deutsch (wovon Strange nichts verstand). Dann deutete der alte Herr auf seinen Bauch, in dem der eingebildete Elefant lag, und machte ein ratloses Gesicht, als wolle er sagen: »Was soll man machen?«
    Strange trat nach draußen und stieß fast mit Hauptmann Hadley-Bright zusammen. »Man hat mir gesagt, Sie seien tot!«, rief er.
    »Und ich war sicher, dass Sie nicht mehr leben«, antwortete Hadley-Bright.
    Sie schwiegen. Beide Männer waren ein wenig verlegen. Die Reihen der Toten und Verletzten erstreckten sich auf allen Seiten, so weit das Auge reichte. Einfach nur am Leben zu sein, schien sich in diesem Augenblick auf irgendeine unfassbare Weise für einen Gentleman nicht zu gehören.
    »Wissen Sie, wer sonst noch überlebt hat?«, fragte Hadley-Bright.
    Strange schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Sie gingen auseinander.
    In Wellingtons Hauptquartier in Waterloo war der Tisch an diesem Abend für vierzig oder fünfzig Leute gedeckt. Doch als es an der Zeit war, mit dem Essen zu beginnen, waren nur drei Männer anwesend: der Herzog, General Alava (der spanische Attaché) und Strange. Immer wenn die Tür sich öffnete, wandte der Herzog den Kopf, um zu sehen, ob es einer seiner Freunde war, lebendig und wohlbehalten; doch niemand kam.
    Viele Plätze am Tisch waren für Herren gedeckt worden, die entweder tot waren oder im Sterben lagen: Oberst Canning, Oberst Gordon, General Picton, Oberst De Lancey. Die Liste wurde im Verlauf des Abends länger.
    Der Herzog, General Alava und Mr. Strange setzten sich schweigend nieder.
KAPITEL 41
Starecross
Ende September bis Dezember 1815
    Fortuna, so schien es, ließ sich nicht dazu bewegen, Mr. Segundus anzulächeln. Er war mit dem Ziel nach York gezogen, die Gesellschaft von und Unterhaltung mit den vielen Zauberern der Stadt zu genießen. Doch kaum war er dort, wurden alle anderen Zauberer von Mr. Norrell ihres Berufsstands enthoben, und er allein blieb übrig. Sein geringes Vermögen war beträchtlich geschrumpft, und im Herbst 1815 war er gezwungen, sich eine Anstellung zu suchen.
    »Und es steht nicht einmal fest«, bemerkte er seufzend gegenüber Mr. Honeyfoot, »ob ich in der Lage bin, viel zu verdienen. Wofür bin ich schon geeignet?«
    Mr. Honeyfoot konnte das nicht zulassen. »Schreiben Sie Mr. Strange«, riet er. »Vielleicht braucht er einen Sekretär.«
    Nichts hätte Mr. Segundus lieber getan, als für Jonathan Strange zu arbeiten, doch seine angeborene Bescheidenheit hielt ihn davon ab, es vorzuschlagen. Es sei doch eine schockierende Angelegenheit, sich selbst so in den Vordergrund zu drängen. Mr. Strange wäre vielleicht peinlich berührt, weil er nicht wüsste, was er ihm antworten sollte. Womöglich sähe es gar so aus, als betrachte er, John Segundus, sich als Mr. Strange ebenbürtig!
    Mr. und Mrs. Honeyfoot versicherten ihm, dass Mr. Strange es sofort sagen würde, falls ihm die Idee nicht gefalle – daher konnte es nicht schaden, ihn zu fragen. Doch in diesem Punkt war Mr. Segundus nicht zu überzeugen.
    Ihr nächster Vorschlag gefiel ihm jedoch besser. »Warum schauen Sie nicht, ob es in der Stadt ein paar kleine Jungen gibt, die die Zauberei erlernen möchten?«, fragte Mrs. Honeyfoot. Ihre Enkelsöhne – stämmige Kerlchen von fünf und sieben Jahren -waren genau in dem Alter, in dem man beginnen sollte, sich um ihre Ausbildung zu kümmern, deshalb beschäftigte sie dieses Thema.
    Also wurde Mr. Segundus Hauslehrer in Zauberei. Neben kleinen Jungen machte er auch einige junge Damen ausfindig, deren Studien sich normalerweise auf Französisch, Deutsch und Musik beschränkt hätten, die aber nun neugierig darauf waren, in

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