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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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während wahre Zauberei sich mit großen Flügeln aufschwang und wieder herabstürzte und an einem grenzenlosen Himmel hoch, hoch über ihnen ihre Kreise zog.
    Aber dann wurde ihm klar, dass Mr. Norrell höchstwahrscheinlich keinerlei Geduld mit solchen Ideen hätte, und er schwieg.
    Seltsamerweise schien Mr. Norrell seine Gedanken jedoch zu erraten.
    »Oh!«, rief er mit jäher Leidenschaft. »Nun gut. So ist es also, nicht wahr? Dann rate ich dir, dich sofort zu Strange und Murray und all den anderen Verrätern aufzumachen. Ich denke, dass ihre Vorstellungen deinem derzeitigen Geisteszustand erheblich besser entsprechen werden. Ich bin sicher, sie werden sich freuen, dich bei sich zu haben. Und du wirst ihnen alle meine Geheimnisse verraten können. Ich nehme an, dass sie dich dafür fürstlich entlohnen werden. Ich werde ruiniert sein und...«
    »Mr. Norrell, beruhigen Sie sich. Ich habe nicht die Absicht, mir eine andere Anstellung zu suchen. Sie sind der letzte Herr, den ich je haben werde.«
    Es folgte ein kurzes Schweigen, das Mr. Norrell gestattete, über die Unangemessenheit eines Streits mit dem Mann nachzudenken, der ihm gestern das Leben gerettet hatte. In vernünftigerem Tonfall sagte er: »Ich nehme an, niemand hat es dir bislang gesagt. Stranges Frau ist tot.«
    »Was?«
    »Tot. Ich weiß es von Sir Walter. Offenbar ist sie im Schnee spazieren gegangen. Sehr unklug. Zwei Tage später war sie tot.«
    Childermass fröstelte. Die öde Landschaft war plötzlich sehr nah, gleich unter der Haut von England. Fast sah er sich wieder auf der alten Straße stehen...
    ... und Arabella Strange ging vor ihm auf der Straße. Ihr Rücken war ihm zugewandt, und sie schritt allein in die kalten grauen Lande, unter dem magisch-sprechenden Himmel ...
    »Man sagt mir«, fuhr Mr. Norrell fort, der Childermass' plötzliche Blässe und seinen angestrengten Atem nicht bemerkte, »dass Lady Pole Mrs. Stranges Tod als großes Unglück aufgenommen hat. Ihr Schmerz sprengte alle Grenzen der Vernunft. Wie es scheint, waren sie Freundinnen. Das wusste ich nicht. Hätte ich es gewusst, hätte ich vielleicht...« Er hielt inne, und in seinem Gesicht arbeitete ein geheimes Gefühl. »Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr – die eine ist verrückt und die andere ist tot. Wie Sir Walter sagt, scheint Lady Pole mich für Mrs. Stranges Tod verantwortlich zu machen.« Wieder hielt er inne. Und für den Fall, dass Zweifel an seiner Unschuld bestehen sollten, fügte er hinzu: »Was natürlich Unsinn ist.«
    In diesem Augenblick betraten die zwei hervorragenden Ärzte das Zimmer, von denen Mr. Norrell Childermass betreuen ließ. Sie waren überrascht, Mr. Norrell vorzufinden – überrascht und erfreut. Lächelnd und sich immer wieder verneigend, versicherten sie ihm, was für ein erfreuliches Beispiel der Großherzigkeit des bedeutenden Mannes es doch sei, dass er seinem Dienstboten einen Besuch abstattete. Selten wären sie in einen Haushalt gerufen worden, in dem der Herr sich so um die Gesundheit seiner Untergebenen sorgte oder die Dienstboten ihrem Herrn so zugetan waren, weniger durch die Bande der Pflicht als durch die des Respekts und der Zuneigung.
    Mr. Norrell war ebenso empfänglich für Schmeicheleien wie die meisten Menschen und begann zu glauben, dass er vielleicht wirklich etwas ungewöhnlich Tugendhaftes tat. Er streckte die Hand aus, um Childermass' Hand auf freundliche und gönnerhafte Weise zu tätscheln. Als er jedoch Childermass' kalten Blick bemerkte, nahm er Abstand davon, hüstelte und verließ das Zimmer.
    Childermass sah ihm nach.
    Alle Zauberer lügen – und dieser mehr als die meisten , hatte Vinculus gesagt.
KAPITEL 47
»'n schwatten Jung und 'n blauen Kerl –
dat muss doch wat bedeuten.«
Ende Januar 1816
    Sir Walter Poles Kutsche fuhr auf einer verlassenen Straße durch Yorkshire. Stephen Black ritt auf einem weißen Pferd daneben.
    Zu beiden Seiten erstreckten sich leere Moore, braun-blau wie Blutergüsse, bis zu einem dunklen Himmel, der mit Schnee drohte. Missgestaltete graue Felsen lagen verstreut herum und ließen die Landschaft noch öder und rauer wirken. Gelegentlich durchstach ein niedriger Sonnenstrahl die Wolken und erhellte für einen Augenblick einen schäumenden weißen Fluss oder fiel auf ein Schlagloch voller Wasser, das plötzlich so blendete wie ein zu Boden gefallener Silberpenny.
    Sie kamen an einen Kreuzweg. Der Kutscher hielt an und starrte düster zu der Stelle, wo seiner Meinung nach

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