Jonathan Strange & Mr. Norrell
Venen.
Sie erhob sich nicht, als sie eintraten, und ließ auch sonst nicht erkennen, ob sie sie bemerkt hatte. Aber vielleicht hörte sie sie nicht. Denn obwohl es im Raum still war, ist die Lautlosigkeit von einem halben hundert Katzen etwas Eigentümliches, wie fünfzig einzelne, aufeinander gehäufte Lautlosigkeiten.
Die Greysteels und Signor Tosetti, praktische Menschen, setzten sich in dem schrecklichen kleinen Zimmer nieder, und Tante Greysteel mit ihrem freundlichen Lächeln und dem fürsorglichen Wunsch, dass man es jedem Menschen leicht und behaglich machen sollte, sprach die alte Dame an.
»Ich hoffe, meine liebe Mrs. Delgado, dass Sie unser Eindringen verzeihen, aber meine Nichte und ich wollten Ihnen unsere Aufwartung machen.« Tante Greysteel hielt inne für den Fall, dass die alte Dame etwas zu entgegnen wünschte, aber die alte Dame schwieg. »Was für ein luftiges Zimmer Sie hier haben, Ma'am. Eine liebe Freundin von mir – eine Miss Whilesmith – wohnt in einem kleinen Zimmer ganz oben in einem Haus am Queen's Square in Bath – in einem Zimmer wie Ihrem, Mrs. Delgado –, und sie sagt immer, dass sie es im Sommer nicht gegen das beste Haus in der Stadt eintauschen würde, denn sie bekommt die Lüftchen, die niemand sonst bekommt, und hat es kühl, wenn bedeutende Personen in ihren prächtigen Wohnungen nahezu ersticken. Und bei ihr ist alles ordentlich und sauber und gleich zur Hand, wann immer sie etwas braucht. Ihre einzige Klage ist, dass das Mädchen aus dem zweiten Stock nach hinten hinaus immer den heißen Wasserkessel im Treppenhaus abstellt, was, wie Sie sicherlich wissen, Mrs. Delgado, sehr unangenehm sein kann, wenn man zufälligerweise mit dem Fuß dagegen stößt. Bereitet Ihnen die Treppe Unannehmlichkeiten, Ma'am?«
Es herrschte Schweigen. Oder vielmehr vergingen ein paar Augenblicke, die nur vom Atmen der fünfzig Katzen erfüllt waren.
Dr. Greysteel betupfte sich die schweißbedeckte Stirn mit seinem Taschentuch und rührte sich in seinen Kleidern. »Wir sind hier, Ma'am«, setzte er an, »auf die besondere Bitte von Mr. John McKean aus Aberdeenshire. Wir sollen Sie vielmals von ihm grüßen. Er hofft, dass es Ihnen gut geht, und wünscht Ihnen gute Gesundheit für die Zukunft.«
Dr. Greysteel sprach lauter als gewöhnlich, denn er vermutete, dass die alte Dame taub war. Das zeitigte jedoch keine andere Wirkung, als dass die Katzen unruhig wurden. Viele begannen durch den Raum zu wandern, stießen aneinander und sandten Funken ins Zwielicht. Eine schwarze Katze sprang von irgendwo auf die Rückenlehne von Dr. Greysteels Stuhl und balancierte darauf wie auf einem Seil.
Dr. Greysteel brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen, und sagte dann: »Dürfen wir Mr. McKean einen Bericht über Ihren Gesundheitszustand und Ihre Lage zurückbringen?«
Aber die alte Dame sagte nichts.
Als Nächstes war Miss Greysteel an der Reihe. »Ich bin froh, Ma'am«, sagte sie, »dass sie so viele gute Freunde haben. Sie müssen Ihnen ein großer Trost sein. Das kleine honigfarbene Kätzchen zu Ihren Füßen – was für eine elegante Figur es hat. Und so eine niedliche Art, sich das Gesicht zu waschen. Wie heißt es?«
Aber die alte Dame antwortete nicht.
Von einem Blick von Dr. Greysteel aufgefordert, begann der kleine venezianische Advokat auf Italienisch vieles zu wiederholen, was bereits gesagt worden war. Der einzige Unterschied in der Wirkung bestand darin, dass die alte Dame nun nicht länger ihre Besucher ansah, sondern eine große graue Katze fixierte, die wiederum eine weiße Katze betrachtete, die ihrerseits den Mond anstarrte.
»Sagen Sie ihr, dass ich ihr Geld mitgebracht habe«, sagte Dr. Greysteel zu dem Advokaten. »Sagen Sie ihr, dass es sich um ein Geschenk von John McKean handelt. Sagen Sie ihr, dass sie mir dafür nicht danken muss.« Dr. Greysteel fuchtelte mit der Hand herum, als wären großzügige Taten und wohltätige Akte Mücken und als hoffte er, auf diese Weise zu verhindern, dass eine solche auf ihm landete.
»Mr. Tosetti«, sagte Tante Greysteel, »Sie sind nicht wohl. Sie sind blass, Sir. Möchten Sie ein Glas Wasser? Ich bin sicher, dass Mrs. Delgado Ihnen gern ein Glas Wasser bringen wird.«
»Nein, Madamina Greysteel, ich bin nicht unwohl. Ich habe...« Signor Tosetti sah sich im Raum nach dem passenden Wort um. »Angst«, flüsterte er.
»Angst?«, flüsterte Dr. Greysteel. »Warum? Wovor?«
»Ah, Signor, das ist ein schrecklicher Ort«, erwiderte der
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