Jonathan Strange & Mr. Norrell
Segundus im bleichen Wintersonnenlicht von der Halle herunter auf sie zugelaufen. Lady Pole blickte den Herrn hasserfüllt an. Der arme Mr. Segundus war verwirrt und bestürzt.
Der Herr wandte sich zu Stephen um und sagte etwas. Stephen hörte ihn nicht: Die Berge und Wälder sprachen zu laut. Aber er sagte: »Ja.«
Der Herr lachte fröhlich und hob die Arme, um Lady Pole zu verzaubern.
Stephen schloss die Augen. Er sprach ein Wort zu den Steinen der Packpferdbrücke.
Ja, sagten die Steine . Und die Brücke bäumte sich auf wie ein scheuendes Pferd und warf den Herrn in den Bach.
Stephen sagte ein Wort zum Bach.
Ja, sagte der Bach . Er nahm den Herrn in einen eisernen Griff und trug ihn rasch davon.
Stephen sah, dass Lady Pole zu ihm sprach, dass sie ihn am Arm zu fassen versuchte; er sah Mr. Segundus' blasses erstauntes Gesicht, er sah, dass auch er etwas sagte; aber Stephen hatte keine Zeit, ihnen zu antworten. Wer wusste schon, wie lange die Welt bereit war, ihm zu gehorchen? Er sprang von der Brücke und lief am Ufer des Baches entlang.
Die Bäume schienen ihn zu grüßen, als er an ihnen vorbeilief; sie erzählten von alten Bündnissen und erinnerten ihn an vergangene Zeiten. Der Sonnenschein nannte ihn König und brachte seine Freude zum Ausdruck, ihn hier zu sehen. Er hatte keine Zeit, ihnen zu erklären, dass er nicht die Person war, für die sie ihn hielten.
Er kam an einen Ort, wo das Land zu beiden Seiten des Baches steil anstieg – ein tiefes Tal im Moor, in dem Mühlsteine gehauen wurden. Verstreut auf den Seiten des Tals lagen große runde, behauene Steine, alle halb so groß wie ein Mensch.
Der Bach brodelte und kochte, wo der Herr gefangen war. Stephen kniete sich auf einen flachen Stein und beugte sich über das Wasser. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Sie wollten nur Gutes, ich weiß.«
Das Haar des Herrn strömte wie silberne Schlangen im dunklen Wasser. Sein Gesicht war ein schrecklicher Anblick. In seinem Zorn und seinem Hass verlor er die Ähnlichkeit mit den Menschen: seine Augen standen immer weiter auseinander, auf seinem Gesicht wuchs ein Fell, und er fletschte knurrend die Zähne.
Eine Stimme in Stephens Kopf sagte: »Wenn du mich umbringst, wirst du nie deinen Namen erfahren.«
»Ich bin der namenlose Sklave«, sagte Stephen. »Ich war nie etwas anderes, und heute bin ich es zufrieden, nur das zu sein.«
Er sprach ein Wort zu den Mühlsteinen. Sie flogen hoch in die Luft und stürzten sich auf den Herrn. Er sprach zu den anderen Steinen und Felsen; sie taten es den Mühlsteinen nach. Der Herr war undenkbar alt und sehr kräftig. Lange nachdem seine Knochen und sein Fleisch zertrümmert und zerfetzt waren, spürte Stephen, dass, was auch immer von ihm übrig war, sich durch Zauberei wieder zusammensetzen wollte. Deswegen sprach Stephen zu den steinigen Schultern des Tals und bat sie, ihm zu helfen. Erde und Felsen bebten und häuften sich auf die Mühlsteine und die anderen Steine und Felsen, bis ein Hügel so hoch wie die Steilwände des Tals errichtet war.
Seit Jahren hatte Stephen das Gefühl gehabt, als hinge eine Scheibe aus schmutzigem grauem Glas zwischen ihm und der Welt; in dem Moment, als der letzte Lebensfunke des Herrn erlosch, zerbrach die Scheibe. Stephen stand einen Augenblick da und schnappte nach Luft.
Aber seine Verbündeten und Diener begannen, Zweifel zu hegen. Die Berge und Bäume dachten eine Frage. Sie begannen zu ahnen, dass er nicht die Person war, für die sie ihn gehalten hatten – dass alles geliehener Ruhm war.
Einer nach den anderen zogen sie sich zurück. Als ihn der Letzte verließ, sank Stephen leer und bewusstlos zu Boden.
In Padua hatten die Greysteels bereits gefrühstückt und saßen jetzt in dem kleinen Wohnzimmer im ersten Stock. Sie waren an diesem Morgen nicht bester Stimmung. Sie hatten eine Meinungsverschiedenheit ausgetragen. Dr. Greysteel hatte begonnen, seine Pfeife im Haus zu rauchen – wogegen sich Flora und Tante Greysteel strikt verwahrten. Tante Greysteel hatte versucht, es ihm auszureden, aber Dr. Greysteel war stur geblieben. Das Pfeiferauchen war ein Zeitvertreib, den er besonders liebte, und er war der Ansicht, dass sie ihm ein wenig Vergnügen gestatten sollten, als Ausgleich dafür, dass sie nie mehr ausgingen und etwas besichtigten. Tante Greysteel vertrat die Meinung, dass er im Freien rauchen sollte. Dr. Greysteel erwiderte, das könne er nicht, weil es regnete. Es sei schwierig, im Regen zu rauchen, der Regen
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