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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Arzt. Doch dies kam Laurence Strange zu Ohren, und er schickte dem ersten Boten einen zweiten hinterher, der dem Arzt mitteilen sollte, er werde nicht gebraucht. Als Nächstes sagte Laurence Strange zum Butler, er gedenke, etwas Haferbrei zu sich zu nehmen, und der neue Diener möge ihn servieren. Dies veranlasste den Butler, sich auf die Suche nach Jonathan Strange zu begeben, um ihn zu bitten, einzuschreiten, aber Jonathan Strange war, wie es schien, früh aufgestanden, um nach Shrewsbury zu reiten, und wurde erst am folgenden Tag zurückerwartet. Deswegen waren die Dienstboten gezwungen, den neuen Diener aus dem Bett zu holen, anzuziehen, ihm die Schale mit dem Haferbrei in die widerstandslose Hand zu drücken und ihn durch die Tür zu schieben. Den ganzen Tag über hielt Mr. Strange eine stetige Abfolge kleiner Wünsche aufrecht, die allesamt – und Mr. Strange war in dieser Hinsicht äußerst eigensinnig – von dem neuen Diener ausgeführt werden mussten.
    Als die Nacht hereinbrach, war der neue Diener so heiß wie ein Eisenkessel und sprach in wirren Sätzen über Austernfässer. Aber Mr. Strange verkündete, dass er beabsichtige, eine weitere Nacht aufzubleiben, und sagte, der neue Diener solle ihm in der Schreibstube zu Diensten stehen.
    Tapfer flehte der Butler seinen Herrn an, stattdessen selbst den Dienst übernehmen zu dürfen.
    »Oh, aber du kannst gar nicht ermessen, wie sehr mir der Bursche ans Herz gewachsen ist«, sagte Mr. Strange, während seine Augen vor Abscheu funkelten, »und wie gern ich ihn immer um mich habe. Du findest, er sieht nicht gesund aus? Meiner Meinung nach braucht er nur etwas frische Luft.« Sagte er und öffnete das Fenster vor seinem Schreibtisch. Augenblicklich wurde es im Zimmer eiskalt, und ein paar Schneeflocken wehten herein.
    Der Butler seufzte, stemmte den neuen Diener (der schon wieder umfallen wollte) etwas fester an die Wand und ließ heimlich Handwärmer in seine Taschen gleiten.
    Um Mitternacht brachte das Dienstmädchen etwas Haferbrei für Mr. Strange. Als sie in die Küche zurückkehrte, berichtete sie, dass Mr. Strange die Handwärmer gefunden, herausgenommen und auf den Tisch gelegt hatte. Besorgt gingen die Dienstboten zu Bett, denn sie waren sicher, dass der neue Diener am Morgen tot sein würde.
    Der Morgen kam. Die Tür zu Mr. Stranges Schreibstube war geschlossen. Es schlug sieben Uhr, und niemand klingelte nach dem Diener; niemand erschien. Es schlug acht Uhr. Neun Uhr. Zehn. Die Dienstboten rangen verzweifelt die Hände.
    Doch was sie vergessen hatten – und was Laurence Strange vergessen hatte –, war die Tatsache, dass der neue Diener ein junger, kräftiger Mann war, wohingegen Laurence Strange ein alter Mann war – und Laurence Strange war gezwungen gewesen, in dieser Nacht so manche Leiden mit dem neuen Diener zu teilen. Um sieben Minuten nach zehn wagten sich der Butler und der Kutscher ins Zimmer und fanden den neuen Diener auf dem Boden liegend und fest eingeschlafen vor; sein Fieber war verschwunden. Auf der anderen Seite des Raums saß Laurence Strange am Schreibtisch; er war erfroren.
    Als die Ereignisse dieser beiden Nächte einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden, herrschte allgemein große Neugierde auf den neuen Diener, so, als gäbe es einen Drachenkämpfer zu sehen oder einen Mann, der einen Riesen bezwungen hat. Natürlich freute sich der neue Diener darüber, als etwas Besonderes zu gelten, und nachdem er die Geschichte immer und immer wieder erzählt hatte, wurde ihm klar, was er wirklich zu Mr. Strange gesagt hatte, als der ihn um ein drittes Glas Sherry gebeten hatte: »Das könnte Ihnen so passen, Sie verfluchter alter Sünder, rechtschaffene Männer zu misshandeln und unter die Erde zu bringen, aber der Tag wird kommen – und zwar bald –, an dem Sie Rechenschaft ablegen müssen für jeden Seufzer, den Sie aus der Brust eines rechtschaffenen Mannes gepresst haben, für jede Träne, die Sie einer Witwe in die Augen getrieben haben!« Auch sprach sich in der Nachbarschaft bald herum, was der neue Diener ausgerufen hatte, nachdem Mr. Strange das Fenster in der Absicht geöffnet hatte, den neuen Diener erfrieren zu lassen: »Erst kalt, Laurence Strange, und schließlich heiß! Erst kalt, schließlich heiß!« – eine prophetische Anspielung auf Mr. Stranges gegenwärtige Lage.
KAPITEL 15
»Wie geht es Lady Pole?«
Januar 1808
    Wie geht es Lady Pole?« In jedem Teil der Stadt und in jedem Stand der Bevölkerung war diese

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