Jonathan Strange & Mr. Norrell
Frage zu hören. In Covent Garden fragten die Straßenhändler frühmorgens die Blumenmädchen: »Wie geht es Lady Pole?« Bei Ackermann in der Strand erkundigte sich Mr. Ackermann persönlich bei seinen Kunden (Mitglieder des Adels und Personen von Rang und Namen), ob sie irgendwelche Neuigkeiten von Lady Pole hätten. Im Unterhaus flüsterten Mitglieder des Parlaments während langweiliger Reden diese Frage ihrem Nachbarn zu (und beobachteten gleichzeitig Sir Walter aus dem Augenwinkel). In den Ankleidezimmern in Mayfair baten die Kammerzofen ihre Herrinnen in den frühen Morgenstunden um Verzeihung: »... aber war Lady Pole gestern Abend auf der Party? Und wie geht es Ihrer Ladyschaft?«
Und so machte immer wieder die Frage die Runde: »Wie geht es Lady Pole?«
Und als Antwort war zu hören: »Ihrer Ladyschaft geht es sehr gut, es geht ihr ganz außerordentlich gut.«
Was die traurige Armut der englischen Sprache beweist, denn Ihrer Ladyschaft ging es sehr viel besser als gut. Neben Ihrer Ladyschaft sah jeder andere Mensch dieser Welt blass, müde und halb tot aus. Die außergewöhnliche Energie, die sie am Morgen nach ihrer Auferstehung an den Tag gelegt hatte, verließ sie nicht; wenn sie einen Spaziergang machte, starrten die Leute der Dame hinterher, die so rasch ausschritt. Und was den Diener betraf, der sie begleitete, so eilte der arme Kerl immer mit rotem Gesicht und außer Atem ein paar Längen hinter ihr her. Der Kriegsminister, der eines Morgens gerade aus der Tür von Drummond's in Charing Cross trat, begegnete plötzlich und unerwartet Ihrer Ladyschaft, die mit schnellen Schritten die Straße entlangmarschierte und ihn umrannte. Sie half ihm wieder auf die Beine, sagte, sie habe ihn hoffentlich nicht verletzt, und war schon auf und davon, bevor ihm eine Antwort einfiel.
Wie alle jungen Damen im Alter von neunzehn Jahren war Lady Pole ganz versessen aufs Tanzen. Sie tanzte jeden Tanz eines Balls, ohne je außer Atem zu geraten, und war bestürzt darüber, dass alle Gäste schon so früh nach Hause gingen. »Es ist lächerlich, eine solch halbherzige Angelegenheit als Ball zu bezeichnen«, meinte sie zu Sir Walter. »Wir haben kaum drei Stunden getanzt.« Auch wunderte sie sich über die Zartheit der anderen Tänzer. »Die armen Dinger! Bemitleidenswert.«
Auf ihre Gesundheit stießen das Heer, die Kriegsmarine und die Kirche an. Sir Walter Pole wurde regelmäßig als der glücklichste Mann im Königreich bezeichnet, und er selbst war ebenfalls ganz dieser Meinung. Miss Wintertowne – die arme, blasse, kranke Miss Wintertowne – hatte sein Mitgefühl erregt, doch Lady Pole, strahlend vor außerordentlicher Gesundheit und fröhlichen Mutes, war Gegenstand seiner Bewunderung. Als sie aus Versehen den Kriegsminister umgerannt hatte, hielt er das für den besten Witz der Welt und erzählte jedem davon, den er traf. Unter vier Augen vertraute er Lady Winsell, seiner guten Freundin, an, dass Ihre Ladyschaft genau die Frau war, die zu ihm passte – so klug, so lebhaft, so alles, was er sich nur wünschen konnte. Besonders hatten es ihm ihre eigenständigen Meinungen angetan.
»Letzte Woche riet sie mir, die Regierung sollte dem König von Schweden kein Geld und keine Truppen schicken – dazu hatten wir uns eigentlich entschieden –, sondern die Regierungen Portugals und Spaniens unterstützen und diese Länder zu Ausgangspunkten unserer Operationen gegen Bonaparte machen. Mit neunzehn Jahren so eingehend über alle möglichen Dinge nachgedacht zu haben und zu so vielen Einsichten darüber gelangt zu sein! Mit neunzehn Jahren der Regierung so kühn zu widersprechen! Natürlich habe ich ihr gesagt, sie sollte eigentlich im Parlament sitzen.«
Lady Pole vereinigte alle Ausstrahlung, die von Schönheit, Politik, Reichtum und Zauberei ausgeht, in einer Person. Die elegante Welt hatte nicht die geringsten Zweifel, dass sie dazu auserwählt war, eine ihrer brillantesten Leitfiguren zu werden. Sie war nun seit nahezu drei Monaten verheiratet; jetzt war es an der Zeit, den Kurs zu steuern, den das Schicksal und die elegante Welt für sie vorgezeichnet hatten. Einladungskarten für ein prunkvolles Abendessen in der zweiten Januarwoche wurden verschickt.
Die erste Abendeinladung einer gerade verheirateten Dame ist ein bedeutendes Ereignis, und sie birgt eine ganze Fülle kleiner Sorgen. Die Talente, für die man sie in den drei Jahren, seit sie die Schule verlassen hatte, bewunderte, reichen nicht mehr aus.
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