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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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ich tun, Sir Walter?«, fragte sie.
    »Tun?«, sagte Sir Walter überrascht. »Tu gar nichts. Überlass alles Stephen Black. Wenn Stephen mit ihnen fertig ist, werden sie alle brav wie die Lämmer und einträchtig wie Tauben sein.«
    Vor seiner Ehe hatte Sir Walter lediglich einen Diener gehabt, Stephen Black, und Sir Walters Vertrauen in diese Person kannte fast keine Grenzen. In der Harley Street 9 wurde er »Butler« genannt, doch seine Pflichten und Zuständigkeiten reichten weit über die eines einfachen Butlers hinaus: Er verhandelte in Sir Walters Auftrag mit Bankiers und Advokaten; er kümmerte sich um die Abrechnungen von Lady Poles Ländereien und berichtete Sir Walter, was er dabei herausfand; er stellte Dienstboten und Gehilfen ein, ohne jemand anderen zu konsultieren; er wies sie in ihrer Arbeit an und bezahlte Rechnungen und Löhne.
    Natürlich gibt es in vielen Haushalten einen Dienstboten, der dank seiner außergewöhnlichen Intelligenz und Fähigkeiten zu einer Autorität gelangt, die über das Maß des Üblichen hinausgeht. Doch in Stephens Fall war dies umso ungewöhnlicher, als Stephen ein Neger war. Ich sage »ungewöhnlich«, denn verhält es sich nicht so, dass ein Neger unter den Dienstboten immer das geringste Ansehen genießt? Egal, wie hart er oder sie arbeitet? Egal, wie klug er oder sie ist? Doch irgendwie fand Stephen Black einen Weg, dieses allgemeingültige Prinzip zu durchbrechen. Er verfügte, das ist wahr, über gewisse natürliche Vorteile: Er hatte ein schönes Gesicht und war von großer, wohlgeformter Gestalt. Sicherlich schadete es nicht, dass sein Herr Politiker war, der der Welt gern seine liberalen Prinzipien offenbarte, indem er die Leitung seines Hauses und seiner Geschäfte einem schwarzen Diener anvertraute.
    Die anderen Dienstboten waren ein wenig überrascht, als sie einem schwarzen Mann unterstellt wurden – einer Sorte Mensch, die viele von ihnen nie zuvor gesehen hatten. Einige reagierten anfänglich etwas unwillig und sagten einander, sie hätten eine freche Antwort bereit, falls er es wagen sollte, ihnen einen Befehl zu erteilen. Doch was auch immer ihre Beweggründe waren: Es stellte sich bald heraus, dass sie in Stephens Gegenwart nichts dergleichen taten. Sein ernsthaftes Aussehen, die Autorität, die ihn umgab, und seine vernünftigen Anweisungen führten dazu, dass sie ihm ganz selbstverständlich gehorchten.
    Der Metzgersbursche, der Bäcker, der Laternenanzünder und weitere neue Bekannte der Dienerschaft in der Harley Street zeigten vom ersten Moment an großes Interesse an Stephen. Sie befragten die Dienstboten der Harley Street nach seinem Lebensstil. Was aß und trank er? Wer waren seine Freunde? Wohin ging er, wenn er zufällig frei war, irgendwohin zu gehen? Als die Dienstboten der Harley Street antworteten, dass er zum Frühstück drei gekochte Eier aß, dass der walisische Kammerdiener des Kriegsministers sein guter Freund war und dass er am Abend zuvor einen Dienstbotenball in Wapping besucht hatte, waren der Metzgersbursche, der Bäcker und der Laternenanzünder überaus dankbar für diese Informationen. Die Dienstboten der Harley Street fragten, warum sie das wissen wollten. Der Metzgersbursche, der Bäcker und der Laternenanzünder waren äußerst erstaunt. Wussten die Dienstboten der Harley Street denn wirklich nicht Bescheid? Die Dienstboten der Harley Street wussten nicht Bescheid. Der Metzgersbursche, der Bäcker und der Laternenanzünder klärten sie über ein Gerücht auf, das seit Jahren in London umlief und demzufolge Stephen Black eigentlich gar kein Butler war. Insgeheim war er ein afrikanischer Prinz, Erbe eines gewaltigen Königreichs, und es war wohl bekannt, dass er, sobald er das Butlerdasein satt hätte, zurückkehren und eine Prinzessin heiraten würde, die ebenso schwarz war wie er.
    Nach dieser Enthüllung beobachteten die Dienstboten der Harley Street Stephen aus den Augenwinkeln und waren sich einig, dass nichts auf der Welt wahrscheinlicher war. Ja, war ihr Gehorsam gegenüber Stephen nicht der beste Beweis? Denn so eigenständige und stolze Engländer und Engländerinnen würden sich wohl kaum der Autorität eines Schwarzen unterordnen, wenn sie nicht instinktiv den Respekt und die Ehrerbietung für ihn verspüren würden, die ein Bürger für seinen König verspürt!
    Stephen Black seinerseits hatte keine Ahnung von diesen merkwürdigen Spekulationen. Er erfüllte seine Pflichten so sorgfältig wie immer. Er putzte

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