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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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ebenso viel zu befürchten wie von einer Person, die sich dort verstecke.
    Aber, wandte Stephen ein, der nächste Wald befinde sich vier Meilen weit weg in Hampstead Heath, und die Bäume dort seien sehr domestiziert. Sie drängten sich nicht an die Häuser der Menschen und versuchten nicht, sie zu zerstören. Stephen konnte einwenden, was er wollte; Robert schüttelte nur den Kopf und schauderte.
    Stephens einziger Trost war, dass diese sonderbare Manie alle anderen Differenzen unter den Dienstboten ausgeräumt hatte. Die Londoner Dienstboten beanstandeten nicht mehr, dass die Dienstboten vom Land langsam sprachen und altmodische Manieren hatten. Die Dienstboten vom Land klagten nicht länger, dass ihnen die Londoner Dienstboten Streiche spielten und sie auf fiktive Botengänge schickten. Alle Dienstboten waren sich einig in dem Glauben, dass es im Haus spukte. Nach der Arbeit saßen sie in der Küche zusammen und erzählten sich Geschichten von all den Häusern, in denen Geister ihr Unwesen trieben und Schauerliches geschah, und von dem entsetzlichen Schicksal, das die Bewohner dieser Häuser ereilte.
    Eines Abends, ungefähr zwei Wochen nach Lady Poles Dinnerparty, saßen sie ums Küchenfeuer herum und gaben sich ihrer Lieblingsbeschäftigung hin. Stephen war es bald leid, ihnen zuzuhören, und zog sich in sein kleines Zimmer zurück, um Zeitung zu lesen. Nach ein paar Minuten hörte er eine Glocke läuten. Er legte die Zeitung weg, zog seinen schwarzen Rock an und ging, um zu sehen, wo er gebraucht wurde.
    In dem kleinen Gang, der die Küche mit dem Zimmer des Butlers verband, befand sich eine Reihe von kleinen Glocken, und unter den Glocken waren mit brauner Farbe ordentlich die Namen der dazugehörigen Räume angebracht: Venezianischer Salon; Gelber Salon; Speisezimmer; Lady Poles Wohnzimmer; Lady Poles Schlafzimmer; Lady Poles Ankleidezimmer; Sir Walters Studierzimmer; Sir Walters Schlafzimmer; Sir Walters Ankleidezimmer; Verlorene Hoffnung .
    Verlorene Hoffnung?, dachte Stephen. Was soll das denn?
    Am Morgen hatte er den Zimmermann dafür bezahlt, die Glocken anzubringen, und den Betrag in seinem Rechnungsbuch vermerkt: An Arnos Judd für das Anbringen von 9 Glocken im Küchengang und das Schreiben von den Zimmernamen: 4 Schillinge . Aber jetzt waren da zehn Glocken. Und die Glocke für Verlorene Hoffnung bimmelte heftig.
    Vielleicht, dachte Stephen, hat Judd sich einen Scherz erlaubt. Ich werde morgen nach ihm schicken, damit er die Sache in Ordnung bringt.
    Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ging Stephen ins Erdgeschoss und sah in allen Zimmern nach; sie waren leer. Dann stieg er die Treppe hinauf in den ersten Stock.
    Oben an der Treppe befand sich eine Tür, die er nie zuvor gesehen hatte.
    »Wer ist da?«, flüsterte eine Stimme hinter der Tür. Stephen kannte die Stimme nicht, und obwohl es nur ein Flüstern war, klang es merkwürdig durchdringend. Es schien nicht durch die Ohren in Stephens Kopf zu dringen, sondern auf einem anderen Weg.
    »Da ist jemand auf der Treppe«, beharrte die flüsternde Stimme. »Ist es der Diener? Komm bitte rein. Ich brauche dich.«
    Stephen klopfte und trat ein.
    Das Zimmer war ebenso mysteriös wie die Tür. Hätte man Stephen gebeten, es zu beschreiben, hätte er gesagt, es sei im gotischen Stil eingerichtet – es war die einzige Erklärung für sein ungewöhnliches Aussehen, die ihm einfiel. Aber es wies keins der üblichen gotischen Merkmale auf, wie sie auf den Seiten von Mr. Ackermanns Fundgrube der Künste abgebildet sind. Da waren keine mittelalterlichen Spitzbögen, kein aufwendig geschnitztes Holz, keine kirchlichen Motive. Wände und Boden bestanden aus schlichtem grauem Stein, an vielen Stellen abgenutzt und uneben. Die Decke war ein steinernes Gewölbe. Ein einziges kleines Fenster ging hinaus auf den sternenübersäten Himmel. Keine einzige Scherbe Glas befand sich im Fenster, und der Winterwind wehte ins Zimmer.
    Ein bleicher Herr mit ungewöhnlich dichtem silbrigem Haar wie Distelwolle betrachtete höchst unzufrieden sein Bild in einem alten gesprungenen Spiegel. »Ach, da bist du ja«, sagte er und warf Stephen einen griesgrämigen Blick zu. »In diesem Haus kann man klingeln und klingeln, und niemand kommt.«
    »Es tut mir sehr Leid, Sir«, sagte Stephen, »aber niemand hat mir gesagt, dass Sie hier sind.« Er nahm an, dass der Herr ein Gast von Sir Walter oder Lady Pole sein musste – was den Herrn erklärte, aber nicht das Zimmer. Personen

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