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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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zusammen. Ich hätte sie verprügeln können.
    »Wir sehen aus wie Heiden«, sagte ich. »Erinnerst du dich nicht? Das könnten wir doch ausnutzen. Schließlich haben wir schon genug wegen unserem Aussehen gelitten. Ich nehme an, Tante Zara hat uns für Heiden gehalten, als sie uns wegjagte.«
    »Nein«, sagte Robin, die nicht nur hilflos, sondern auch gerecht war. Beides zusammen ergibt eine aufreizende Mischung. »Nein, das kann nicht sein. Sie wollte nur sagen, dass wir anders aussehen. Wir haben gelbes, welliges Haar, und bei allen anderen im Dorf ist das Haar schwarz und glatt.«
    »Anderssein bedeutet heute Nacht tot zu sein«, entgegnete Hern. Geistreich, sehr geistreich.
    »Wir verlassen uns allein auf Onkel Falks Wort«, wiederholte Robin. »Außerdem schläft Gull.«
    Und so blieben wir unentschlossen sitzen, ohne etwas zu entscheiden. Keiner von uns ging zu Bett. Bei den tausend unterschiedlichen Geräuschen des Hochwassers hätten wir ohnedies nicht schlafen können. Es plätscherte und brodelte, gurgelte, rauschte und murmelte. Bald begann es zu regnen, und die Tropfen trommelten aufs Dach und zischten, wenn sie zum Schornstein hinein und in die Flammen fielen. Darüber bellte und grollte der Strom und schlug wie eine Trommel, bis meine Ohren so sehr betäubt waren, dass ich glaubte, schrille Stimmen zu hören, die von der anderen Seite der Fluten zu uns drangen.
    Ungefähr in der Mitte der Nacht hörte ich dann das echte, verzweifelte Muhen unserer Kuh, die davongespült wurde. Robin sprang vom Tisch auf und rief nach Hilfe.
    Hern setzte sich schläfrig auf. Entchen rollte sich auf dem Herdvorleger herum. Ich war am wachsten, also rappelte ich mich auf und half Robin, die Hintertür freizuräumen. Sobald wir den Haken hoben, sprang sie auf, und eine Flutwelle aus gelbem Wasser schoss uns entgegen.
    »Meine Güte!«, rief Robin. Irgendwie gelang es uns, die Türe wieder zu schließen. Das Wasser stand als Lache auf dem Fußboden, und unter der Tür hinweg drang noch mehr nach. »Am Holzschuppen!«, sagte Robin.
    Dorthin eilten wir, obwohl das Muhen sich schon stromabwärts entfernte. Unter der Schuppentür sickerte das Wasser durch. Das Boot konnten wir mühelos entfernen, weil es schon schwamm, aber als wir die Tür öffneten, war der Wasserschwall diesmal nicht ganz so hoch. Robin bestand darauf, dass wir durch den Garten zur Kuh waten könnten. Wir rafften unsere Kleider hoch und platschten durch die Nässe; wir versuchten, etwas zu erkennen, das Gleichgewicht zu bewahren und die Röcke festzuhalten – und das alles auf einmal. Es goss in Strömen. Der Regen zischte, der Strom fauchte und gluckste, und das Wasser war voller Strudel, sodass ich fast gestürzt und gegen den Schuppen gestoßen wäre. Ich wusste, dass es keinen Zweck hatte. Die Kuh war nur noch undeutlich in der Ferne zu erkennen. Robin gelang es noch, ein paar Schritt weiterzutorkeln, während sie nach der Kuh rief, bis auch sie endlich einsah, dass wir nichts mehr ausrichten konnten.
    »Woher bekommen wir jetzt unsere Milch?«, fragte sie. »Die arme Kuh!«
    Die Schuppentür ließ sich nicht mehr schließen. Ich band das Boot an einem Stützbalken fest, dann wateten wir in den Hauptraum zurück und schlossen die Tür. Der Holzschuppen liegt eine Stufe tiefer. Schon bald sickerte auch unter der Verbindungstür das Wasser hervor. Es erinnerte mich an dunkle, tastende Finger.
    Robin saß am Herd. Ich setzte mich neben sie. »Wir ertrinken, wenn es noch sehr ansteigt«, sagte sie.
    »Und Zwitt wird sagen, die wären wir los – der Strom hat sie gestraft«, entgegnete ich. Ich lehnte mich im Sitzen an Robin und sah zu, wie mir das Wasser aus den Haaren tropfte. Jeder Tropfen musste zwanzig Ecken umrunden, denn mein Haar hängt geringelt herab, wenn es nass ist. Und ich begriff, dass uns wirklich keine andere Wahl mehr blieb als fortzugehen. Wir hatte keine Kuh mehr, und wir hatten keinen Vater, um uns den Acker zu pflügen. Der arme Gull konnte es nicht tun, und Hern ist für diese Arbeit noch immer nicht stark genug. Wir hatten kein Geld, um uns Essen zu kaufen, anstatt es anzubauen, weil niemand meine Webarbeiten mehr kaufen wollte, und wenn wir welches gehabt hätten, wäre es wohl nutzlos gewesen, weil die Leute in Iglingen uns nichts mehr verkauft hätten. Dann fiel mir ein, dass sie uns wahrscheinlich sowieso töten würden. Ich dachte, ich müsste weinen. Doch nein. Ich sah, wie das Licht des Herdfeuers dem Gesicht des Jünglings

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