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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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weiter. Der einzige Unterschied zwischen mir und den anderen bestand darin, dass ich noch immer den Wollmantel an mich presste und spürte, wie der Eine in meinem Hemd heftig hin und her geschüttelt wurde.
    Nichts schien mich aufhalten zu wollen, während ich rannte. Ich dachte nicht ans Innehalten, bis ich weit vor mir etwas Helles, Schemenhaftes entdeckte, das sich bewegte. Die Eile der Leute ringsum ließ nach und ging in Zögern über. Unbehagen machte sich breit, und wir liefen wankend weiter. Dann sah ich, dass mehrere Leute vor mir sich umdrehten, und einige kamen sogar zurück. Das Getrappel unserer Füße klang verwirrt.
    Bis dahin war ich gerannt wie im Traum, wo man auch nicht danach fragt, wieso etwas Bestimmtes geschieht. Nun aber blickte ich nach vorn und versuchte die hellen Schemen genauer auszumachen. Ich erkannte gewaltige, glasartige Gebilde, die sich mir näherten. Sie waren durchsichtig, doch zugleich grün und wabernd, als bestünden sie aus Wasser. Obwohl sie noch immer weit entfernt waren, erschienen sie riesig und sehr schnell. Was mit der beklommenen Menge geschah, wenn sie mit den Glasriesen zusammentraf, konnte ich nicht sehen. Dennoch hatte ich das Gefühl, als gebe es hinter den Glasriesen nichts mehr, und im nachlassenden Fußgetrappel glaubte ich eine Stimme verzweifelt aufschreien zu hören. Sie klang wie meine Mutter.
    Mich packte die Angst. Ich wollte kehrtmachen und den glasigen Wesen entfliehen. Das jedoch war gar nicht so einfach. Hinter mir eilte noch alles, und die Menge riss mich mit sich. Ich schrie laut um Hilfe.
    Da rief mich jemand, der über mir am Ufer stand. »Tanaqui, Tanaqui! Wie weit bist du gekommen, Tanaqui?«
    Ich hob den Kopf und erwartete, meinen Vater zu sehen. Ich glaube, ich hatte schon die ganze Zeit darauf gezählt, unter den dahinhastenden Seelen meinem Vater zu begegnen. Ich erblickte jedoch einen hellhaarigen jungen Mann in einem verblichenen roten Wollmantel, der am Ufer entlangrannte und auf die Seelenmenge herunterschaute. Er wirkte kräftiger und auch grimmiger als Tanamil, und trotzdem hatte er dessen frohe Züge. Ich drückte mich mit dem Ellbogen gegen das felsige Ufer und starrte mit großen Augen zu ihm hoch.
    »Da bist du ja endlich!«, sagte er zu mir. »Mutter hat mir gesagt, dass ich dich hier finden würde. Du darfst nicht weiter in diese Richtung gehen. Dort hinten sind die Magier. Komm hoch zu mir ans Ufer.« Er reichte mir seine Hand.
    »Gull!«, rief ich.
    »Was hast du denn geglaubt, wer ich bin?«, fragte er und half mir die Böschung hoch.
    »Aber … aber du bist ja erwachsen«, sagte ich. »Sind die Seelen der Menschen also immer erwachsen?«
    Er sah mich ärgerlich an. »Ich bin doch nicht meine Seele. Ich bin ganz ich. Komm mit. Wir haben eine weite Strecke vor uns.«
    Mein Bruder preschte in die entgegengesetzte Richtung der Seelen das hohe Ufer entlang davon, und ich gab mir alle Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Der Boden war uneben und sehr steinig, ganz anders als der weiche, ausgetretene Grund im Bett des Stromes. »Warum bist du erwachsen?«, keuchte ich, während ich ihm hinterherstolperte.
    »Weil ich fünf Jahre vor dir geboren wurde«, sagte er, während er mit Riesenschritten rannte. Mittlerweile blieb ich immer mehr zurück. Gull bemerkte es und drehte sich um. »Entschuldige«, sagte er. »Du bist voll geladen bis an die Ruderbänke, wie? Was hast du eigentlich alles dabei?«
    »Meinen Zaubermantel«, keuchte ich. »Aber der Eine, der ist wirklich schwer. Er ist jetzt aus Gold, musst du wissen.«
    »Ich trage den Mantel für dich«, sagte er und nahm ihn mir aus den Armen, was eine große Erleichterung für mich war. »Er ist wirklich wunderschön«, sagte er, als er ihn in Händen hielt. »Das muss der Beste sein, den du je gewebt hast. Wofür hast du ihn gemacht?« Dann grinste er mich an. »Ich bin furchtbar froh, dich zu sehen, Tanaqui.«
    Solche Dinge sagt Gull nur dann, wenn er sie wirklich meint, und ich freute mich sehr. Ich erklärte ihm, wozu der Wollmantel dient, während wir oberhalb der wimmelnden Vielzahl von Seelen am Ufer entlangliefen. Unablässig hörten wir das leise Getrappel ihrer Füße. Kankredins Glasmagier waren hinter uns außer Sicht geraten. Die Umgebung lag im Dunkel, und Gull war das einzige Helle, was ich sah. Wahrscheinlich hatte ich schon daran merken sollen, dass er nicht bloß eine Seele war. Obwohl er die ganze Zeit bei uns gewesen war, wusste Gull überhaupt nichts von den

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