Jones, Diana Wynne
könne.
Olob warf heftig den Kopf herum. Brid sagte: »Da kommt Dagner ja!« Moril sah Dagner, den leeren Hut in einer Hand zusammengerollt, über den Platz eilen. »Wo hat er die Einkäufe?«, fragte Brid. Dagner winkte fröhlich und lief schneller. Er hatte fast den Wagen erreicht, als zwei große Männer näher traten und Dagner ruhig und entschlossen in ihre Mitte nahmen. Einer legte Dagner die Hand auf die Schulter.
»Was –?«, fragte Dagner und versuchte, sich loszureißen.
»Im Namen des Grafen, du bist verhaftet«, sagte der Mann. »Komm ohne Aufhebens mit und mach uns keine Scherereien.«
Moril erhaschte einen ganz kurzen Blick auf Kialan, der hinter dem Brunnen in der Menge stand und zutiefst entsetzt wirkte. Als die umstehenden Menschen sahen, dass jemand verhaftet wurde, wichen sie eilig vom Wagen zurück. Kialan ging in der Menge unter und war im nächsten Moment verschwunden. Moril blieb neben Olob auf einer leer gefegten Fläche zurück und kochte vor Wut, so zornig war er über Kialan. Nicht dass irgendjemand etwas unternehmen konnte, wenn der Graf sich in den Kopf setzte, Dagner gefangen nehmen zu lassen, doch selbst Kialans Gesellschaft wäre Moril willkommener gewesen, als allein zu bleiben. Er schaute Dagner verzweifelt an, dem gerade noch Zeit blieb, den Blick hoffnungslos zu erwidern, dann führten die beiden Männer ihn über den Platz zum Gefängnis. Vor ihnen stob die Menge auseinander – als hätte Dagner eine ansteckende Krankheit, dachte Moril ärgerlich. Er wünschte, Dagner würde wenigstens aufrecht gehen und nicht gebeugt wie ein armer Sünder.
»Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so wütend gewesen!«, rief Brid. »Nie! Von allen ungerechten…« Sie verstummte und schaute voll Unbehagen in die Leere rings um den Brunnen, denn sie hatte bemerkt, dass sie auf dem besten Weg war, selber verhaftet zu werden.
Die beiden Männer verschwanden mit Dagner in dem düsteren Gefängnis. Moril hatte sich noch nie so allein gefühlt. »Mir ist es gerade erst eingefallen«, sagte er. »Wir haben gar keinen Freibrief für das Singen, oder?«
»Wir haben das Recht, sechs Monate lang mit Vaters Freibrief aufzutreten«, erklärte Brid. »Das hat er mir noch gesagt, und ich weiß, dass das Gesetz es so will. Ich hoffe, Dagner erinnert sich daran. Das können sie doch nicht machen! Sie versuchen nur…«
Ein Mann kam über den freien Platz näher. Er sah mürrisch aus und trug einen Hafersack. Ein Stück vom Wagen entfernt blieb er stehen. »Euer Bruder hat das bestellt«, sagte er. »Soll ich’s wieder mitnehmen?«
»Das lässt du schön bleiben!«, fuhr Brid ihn hochmütig an. »Der Hafer ist schon bezahlt – so viel weiß ich. Leg ihn in den Wagen.«
»Mach’s doch selber«, sagte der Mann unfreundlich. Er ließ den Sack aufs Pflaster fallen und ging davon.
Moril fand sein Verhalten ziemlich schäbig, aber er ahnte bereits, dass jeder hier sie nun meiden würde. Wütend rief er sich ins Gedächtnis, dass Kialan sie genauso im Stich gelassen hatte. Er ließ Olob los, der sich nun wieder beruhigt zu haben schien, und schleppte den Sack zum Wagen. »Was sollen wir denn jetzt tun, Brid?«
»Was wir tun?«, fragte sie wütender denn je. »Ich werde dir sagen, was wir tun! Ich muss hier bleiben für den Fall, dass Dagner noch mehr bestellt hat, aber du gehst sofort zum Gefängnis und bittest darum, Dagner sprechen zu dürfen. Geh schon. Sag ihnen, dass er mit dem Grafen verwandt ist. Sag, dass Mutter Tholians Nichte ist. Mach viel Aufhebens darum. Bitte sie, nach Ganner zu schicken. Lass keinen Zweifel daran, dass wir gute Verbindungen haben. Und wenn du Dagner siehst, dann sag ihm, er soll genau das Gleiche tun. Also los. Sie versuchen nur, uns Angst zu machen, damit wir noch einen Freibrief kaufen, das weiß ich genau!«
Gehorsam hastete Moril über den Marktplatz. Er war so erschüttert, dass ihm beim besten Willen nicht einfiel, was sie hätten tun können, er wusste nur in der Tiefe seines Herzens, dass ihr Plan nicht besonders gut war. Wenn im Süden kleine Leute sogar wegen eines geringen Vergehen festgenommen wurden, dann bedurfte es mehr als eines Jungen, der von adligen Verwandten faselte, um sie aus dem Gefängnis zu holen. Allerwenigstens musste man dazu viel Geld haben. Und weil sie eben nicht viel Geld hatten, konnten sich die Gefängnistore durchaus endgültig hinter Dagner geschlossen haben. Wenn Ganner sie doch nur gefunden hätte. Als er den abweisenden Bogengang
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