Jones, Diana Wynne
drehte sich noch einmal zu Tholians Herrensitz um. Zu seiner Erleichterung war das Anwesen nun hinter einer Straßenbiegung verschwunden. Darüber war er froh, denn es kam ihm vor, als hätte Kialans Eröffnung sie unversehens in große Gefahr gestürzt. Er fühlte sich ganz kraftlos vor Angst, obwohl er nun wusste, dass sie sich schon seit dem Zeitpunkt in Gefahr befunden hatten, als Kialan zu ihnen gestoßen war. Jeder Graf des Südens – nicht nur Tholian – wäre außer sich vor Freude gewesen, wenn er Kialan in die Hände bekommen hätte. Sein Vater war ihr größter Feind, und jeder, der Kialan half, musste mit schwerster Bestrafung rechnen. Erschrocken erinnerte sich Moril, dass Kialan in den Städten zwar immer für sich allein geblieben war und so getan hatte, als würde er nicht zu ihnen gehören; unterwegs aber hatte er für alle anderen Reisenden deutlich sichtbar in ihrem Wagen gesessen, und er war Ganner sogar als ihr Bruder vorgestellt worden. Wenn es wirklich Graf Tholian leibhaftig gewesen war, den Moril und Brid in Markind gesehen hatten, dann war nicht auszudenken, in welcher Gefahr sie dort geschwebt hatten. Clennen konnte nicht gewusst haben, wer Kialan war. Niemals hätte er für den Sohn eines Grafen, mit dem er sich überworfen hatte, seine eigene Familie in Gefahr gebracht. Mehr und mehr aber schien es, als wäre Lenina über Kialan im Bilde gewesen.
»Dass du aus dem Norden kommst«, sagte Brid kläglich, »hätte ich mir eigentlich denken können. Schließlich hast du darauf bestanden, dass dein Name mit K geschrieben wird. Hier im Süden gibt es keine Namen mit K am Anfang, richtig? Ich hatte mich schon gewundert, als Mutter Ganner erzählte, dein Name wäre Collen.«
Kialan lachte leise. »Deine Mutter lässt sich nichts anmerken, was?«
»Nur wenn sie will. Aber sag mir eins: Was haben dein Bruder und du eigentlich im Süden gesucht? Habt ihr nicht gewusst, was euch dort erwartete?«
»Das war ein Unglück«, sagte Kialan. »Erinnert ihr euch an den schweren Orkan Ende April?«
»Ja. Da hätten wir fast das große Zelt verloren. Weißt du noch, Moril?«, fragte Brid.
Moril nickte.
»Na, und wir wären fast ertrunken«, sagte Kialan. »Wir hatten meine Tante auf der Insel Tulfer besucht, und auf der Rückfahrt brach der Sturm über uns herein. Wir kamen weit vom Kurs ab, und das Schiff machte Wasser und lief zur Hälfte voll. Ich glaube, der Kapitän wusste nicht besser als ich, wo wir waren. Er sagte, wir müssten in den nächstgelegenen Hafen einlaufen, sonst würden wir untergehen. Und das haben wir auch getan. Der nächste Hafen aber, das war ausgerechnet Holand, und dort saßen alle Grafen des Südens und leckten sich nach uns die Lippen. Wenn ich ehrlich bin, hab ich zuerst gar keine Angst gehabt. Ich war so froh, wieder an Land zu sein.«
»Zu der Zeit waren wir nicht weit von Holand«, sagte Brid. »Aber wir haben nichts davon gehört… – o doch, Vater hat die Neuigkeit doch erzählt, oder? Wurde Vater so darin verwickelt?«
»Meint ihr denn nicht, dass er da hineingeraten musste?«, entgegnete Kialan. »Viel hat er mir nicht erzählt, aber für mich besteht kein Zweifel, dass er mein Entkommen eingefädelt hat. Ich weiß genau, dass die Leute, die mir zur Flucht verhalfen, die ganze Zeit über auf Nachrichten vom Pförtner warteten, damit sie wussten, was sie als Nächstes tun sollten.«
»Was? Vater?«, fragte Moni verwirrt.
»Ja. Dein Vater. Du willst doch nicht etwa sagen, du hättest nicht gewusst, dass er der Pförtner war?«
»Das war er nicht!«, rief Brid wütend. »Der Pförtner ist ein Spion, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt ist!«
»Ja natürlich, im Süden«, entgegnete Kialan. »Hier unten waren sie ganz wild darauf, ihn gefangen zu nehmen, denn er war der wichtigste Agent des Nordens. Das müsst ihr doch gewusst haben! Er schaffte alle wichtigen Botschaften und die meisten Flüchtlinge aus dem Land. Sie müssen mit diesem Wagen gefahren sein. Und er organisierte hier den Widerstand gegen die Grafen – das weiß ich, weil Konian es mir gesagt hat. Während der Verhandlung schickte Konian eurem Vater eine Nachricht, er brauche Hilfe, aber sie hat ihn nicht schnell genug erreicht.«
Eine düstere Stille trat ein. Olob folgte mit klappernden Hufen geduldig dem Zickzack der Straße den steilen Hang hinauf, während Brid und Moril zu verdauen versuchten, was Kialan gesagt hatte. »Ich dachte«, fragte Moril, »dass unsere Väter zerstritten gewesen
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