Jones, Diana Wynne
schnell genug den Hut vor ihm gezogen hatte. Im Süden gab es also Hunderte von Menschen, denen es schlechter ging als Moril, Brid und Kialan. Ihnen blieben wenigstens Pferd und Wagen, und Clennen hatte ihnen nicht nur Fertigkeiten beigebracht, mit denen sie ihr Brot verdienen konnten, sondern auch den nötigen Freibrief hinterlassen. Und wenn es zum Schlimmsten kam, konnten sie immer noch nach Markind zurückkehren. Diese Vorstellung behagte Moril jedoch gar nicht. Kurz versuchte er, sich weiszumachen, er könne Kialans wegen auf keinen Fall mehr nach Markind. Doch rasch gestand er sich ein, dass er diesen Grund nur vorschob; Lenina hätte Kialan geholfen. Er begriff, dass er nicht nach Markind zurückwollte, weil er sich nicht darüber im Klaren war, ob sie nun Lenina verlassen hatten oder umgekehrt. Und diese Unklarheit bedrückte ihn schwer.
»Wir geben noch mehr Vorstellungen«, sagte er und verdrängte Lenina aus seinen Gedanken. Dann stieg er in den Wagen, um die Musikinstrumente zu polieren. Dabei fiel sein Blick auf den Weinkrug, der so viel Platz einnahm. »Weißt du irgendetwas über den Krug?«, fragte er Kialan.
»Nein … oder meinst du die Papiere?«, fragte Kialan und kam an den Wagen. »Dagner hat ihn sich in Markind angesehen, weil er die Nachricht für Niedertal brauchte. Die Botschaften sind im Korb versteckt.«
Moril sprang auf. Kialan öffnete die Ladeklappe und zeigte ihm, wo er die Hand zwischen Krug und Korbgeflecht stecken musste. Brid kam rasch herbei und beobachtete, wie Moril in dem Zwischenraum fischte, Papier ertastete und es herauszog. »Was ist das?«
»Nachrichten, die nicht so wichtig waren«, antwortete Kialan. »Wie gut, dass sie die Wagen nicht durchsucht haben, was?«
Brid und Moril hielten die Papiere in die sinkende Sonne und entzifferten langsam Clennens Handschrift: An Mattrick: In Niedertal riecht jemand – ich glaube, Halain – nach Lavendel. Schmutzwäsche in Zukunft durch Pali und Fander.
»Lavendel!«, rief Brid aus. »Also wirklich, Vater!«
Die anderen Nachrichten besagten das Gleiche und hätten in verschiedenen Ortschaften zwischen Markind und Niedertal verteilt werden sollen.
»Wirf sie alle ins Feuer«, sagte Moril und reichte sie Kialan. »Glaubst du jetzt, dass wir lesen können?«
Grinsend nahm Kialan die Papiere entgegen. Während er sie zwischen den Reisig stopfte und der starke Geruch nach brennendem Papier die Luft erfüllte, tastete sich Moril emsig unter dem Korbgeflecht um das ganze Weinfass herum. Nach einer halben Umdrehung fühlte er weitere Papiere. Er zog sie hervor und entfaltete die Blätter.
Sie waren alle in unterschiedlichen Handschriften geschrieben, und einige stammten aus Teilen des Südens, in denen sie seit Jahren nicht mehr gewesen waren. Andere betrafen Orte, die sie durchreist hatten, und stammten meist von Leninas Hand. Moril empfand beim Anblick der kleinen, aber kühnen Schrift seiner Mutter eine seltsame Erleichterung. Er konnte sehen, dass Lenina höchst gewissenhaft getan hatte, was Clennen von ihr erwartete, solange er am Leben war, ganz gleich, was sie bei sich von seinem Freiheitskampf gehalten haben mochte – selbst auf die Gefahr hin, als Spionin gehenkt zu werden. Er fand es eigenartig, dass sie sich als so pflichtgetreu erwies, aber es gefiel ihm. Unter anderem hatte sie geschrieben: Creding: 169 in den Norden nach Niedertal gebracht und Fledden: gestern 24 mit Pferden gepresst. Auf anderen Notizen stand mehr oder minder Ähnliches.
»Was glaubst du, was soll das heißen?«, fragte Brid.
Kialan kam näher und warf einen Blick auf die Zettel. »Was meint ihr«, fragte er nach einigem Rätseln, »ob sie vielleicht für meinen Vater oder sonst jemanden im Norden bestimmt sind? Sie könnten sich auf das Heer beziehen, das Tholian aufstellt.«
»Weißt du was? Ich glaube, das ist es!«, rief Brid. »Hier steht, wie viele Männer aus welchem Ort als Soldaten eingezogen wurden. Meinst du nicht auch, Moril?«
»Vielleicht«, sagte Moril. Das Thema langweilte ihn ein wenig. »Wir sollten sie auf jeden Fall lieber nach Norden mitnehmen.« Er stopfte sie zurück und arbeitete sich, nur um sicherzugehen, mit der Hand weiter vor, bis er den ganzen Krug umrundet hatte. Auf der anderen Seite ertastete er kalte, harte Gegenstände. Er konnte einen davon ergreifen und zog ihn hervor. »Das gibt’s doch nicht!« Es war ein Goldstück. »Wem gehört denn das?«
Sie alle waren zutiefst erstaunt. Brid überlegte, dass dies
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