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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04 Die Krone von Dalemark
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meine, sondern nur eine Rolle spiele, um seinem Vater zu dienen und Mitt zu bewegen, sich zu verraten. »Und das habe ich – oder?«, fragte Mitt laut. Doch während seine Worte in dem Kuppelraum verhallten, begriff er, dass Kialan ihm gegenüber vollkommen ehrlich gewesen war. Kialan war ein anständiger Mensch. Das bittere Gefühl tiefer Enttäuschung, wegen dem Mitt niemandem mehr trauen wollte, hing mit Hildi zusammen, nicht mit Kialan. Er wusste sehr gut, weshalb Kialan seinen Vater in einem anderen Licht sah als früher. Mitt brauchte sich nur an den flüchtigen Moment zu erinnern, in dem er Kialan als Gefangenen von Navis’ Vater durch Holand schlurfen sah. Mehr als ein Jahr lag das nun schon zurück, doch Mitt wusste es noch, als wäre es gestern geschehen. Ohne jeden Zweifel erinnerte sich Kialan noch viel genauer daran. Niemand brauchte Kialan zu erklären, wie man sich fühlte, wenn das eigene Leben vom Gutdünken eines Grafen abhing.
    Gleichzeitig hatte Kialan kein Recht zu behaupten, Hildi sei wie Graf Hadd. Mitt entschied, dass er Kialan diese Bemerkung sehr verübelte – umso mehr, weil er befürchtete, Kialan könnte damit richtig gelegen haben.
    »Verdammt seien alle Grafen und ihre Familien!«, schimpfte Mitt laut und krallte die Hände um die Kante der Steinbank. Seine Augen funkelten den Steintisch und den schiefen Metallkelch darauf an. Hildi und Kialan hatten ihn völlig durcheinander gebracht.
    Plötzlich erkannte er, was da eigentlich vor ihm stand. Dieser Steintisch war ein Altar. In der Nische darüber befand sich ein Relief; es zeigte einen alten Mann, der einen Berg anhob. Den Einen. Das konnte nur bedeuten, dass der schiefe Kelch der Gegenstand war, den Noreth benötigte – der Kelch des Adons.
    Mitt umfasste die Steinkante noch fester. Eine bessere Gelegenheit würde sich ihm nie wieder bieten. Er brauchte nur hinüberzugehen, den Kelch an sich zu nehmen und vorn in die Jacke zu stopfen. Noreth wäre entzückt. Und da die Akademie gerade von Menschen wimmelte, konnte niemand wissen, wer den Kelch genommen hatte, wenn tatsächlich jemand sein Fehlen bemerkte und Alarm schlug. Wenn Mitt ihn an sich nahm und sofort die Akademie verließ, das Tal durchquerte und zur Grünen Straße ritt, war er wahrscheinlich schon buchstäblich über alle Berge, bis jemand etwas unternehmen konnte. Warum also saß er dort wie ein Idiot und klammerte sich an der Steinbank fest, dass ihm die Finger schmerzten?
    Weil es ein Diebstahl war. Wegen des Versprechens, das er Alk gegeben hatte. Weil er den Alten Ammet und Libbi Bier angerufen hatte – die gestern und heute in seiner Nähe gewesen waren; vielleicht wollten sie Mitt an diese Worte erinnern. Er grinste, ein entschlossenes, wildes Lächeln. Eigenartig, dass es nie genügte, etwas einmal zu schwören und zu versprechen. Man musste es anscheinend jedes Mal, wenn das Thema aufkam, wieder überdenken und neu geloben. Mitts Lächeln verblasste. Dieses Mal würde er den Einen bestehlen, und vor dem Einen fürchtete sich selbst der vernünftige, unerschütterliche Alk. Andererseits war Noreth die Tochter des Einen, und der Eine wollte, dass sie den Kelch bekam. Nun, nachdem Hildi und Kialan ihn sosehr durcheinander gebracht hatten, kam es Mitt vor, als würde er etwas Schlechtes tun. Es wäre eine Schande gewesen, die Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen.
    Er löste seine Finger von der Steinkante und stand auf. Er lauschte. Alle Stimmen und alle Schritte, die er hörte, kamen von weit her. Durch den Eingang sah Mitt, dass der Kiesplatz völlig menschenleer war. Also. Bring es hinter dich.
    Er näherte sich mit drei langen Schritten dem Altar. Als er ihn erreichte, schrak er zurück und erstarrte. Er hätte schwören können, dass bei seinem dritten Schritt ein Schatten wie von einem alten Mann mit einer langen Nase durch den Raum gestrichen war. Als wäre jemand außen an der Tür vorbeigegangen. Doch während Mitt wartete und lauschte, knirschte kein einziges Mal der Kies unter einem Fuß. Soweit er den Hof überschauen konnte, war er leer. Mitt streckte vorsichtig die Hand aus und fasste den Kelch um den weiten, ungleichmäßigen Stiel.
    Knisternd füllte ein blaues Licht den Kuppelraum.
    Mitt sprang zurück. Einen Arm legte er sich über das Gesicht und schützte damit seine tränenden Augen. Seine andere Hand juckte, prickelte und stach; er schüttelte sie hastig. Das Licht war wieder erloschen. Mitt blinzelte die Tränen fort. Er war noch

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