Jones, Diana Wynne
stehen und überlegte, während ringsum die Marsch schmatzte und gluckste, ob er sich den Männern nähern sollte. Wenn die Menschen im Neuen Koog von Soldaten sprachen, dann in einem Ton, als müsse man sie fürchten. Unweit von Mitt erhob sich ein Damm. Ob er daran hochklettern sollte, um den Soldaten auszuweichen? Während er noch nachdachte, stieg auf der anderen Seite des Dammes ein schlammbespritztes Pferd hoch. Der junge Offizier auf seinem Rücken zügelte das Ross und blickte überrascht den sehr kleinen Jungen an, der ganz allein mitten im Alten Koog vor ihm stand.
»Was um alles in der Welt suchst du denn hier?«, rief er Mitt zu.
Mitt freute sich über die Gesellschaft. »Ich suche mein Zuhause«, antwortete er dem Offizier beiläufig. »Ich komme auch von weit her.«
»Das sehe ich«, sagte der Offizier. »Wo bist du zu Hause?«
»Da.« Mitt deutete unbestimmt nach Norden. Er war zu beschäftigt, seinen neuen Bekannten zu mustern. Rasch fasste er eine Vorliebe für das Gold auf dem Uniformrock des Mannes. Aber auch sein Gesicht gefiel Mitt, denn es war sehr glatt, blass und schmal, und die Nase ragte daraus spitzer hervor als irgendeine Nase, die Mitt je gesehen hatte. Für seinen Mund fand Mitt kein anderes Wort als sauber. Insgesamt hielt er den Offizier für einen Mann, der würdig war, vom Gelobten Land zu erfahren. »Es ist dort ganz still, und es ist am Wasser«, erklärte er, »und dahin will ich, weil ich da zu Hause bin, aber ich kann es noch nicht finden.«
Der Offizier runzelte die Stirn. Erst am Vortag war seine eigene kleine Tochter ertappt worden, wie sie in den Koog hinauswanderte, und sie hatte gesagt, sie habe ein Haus auf einem Hügel, das ihr gehöre und das sie finden müsse. Darum glaubte er zu wissen, was er zu tun hatte. »Ja, aber wo wohnst du?«, fragte er.
»Grabensend«, antwortete Mitt ungeduldig. War es des Offiziers wirklich würdig, sich nach solchen Dingen zu erkundigen? »Ist doch klar. Von da komme ich, und jetzt gehe ich nach Hause.«
»Verstehe«, sagte der Offizier. Er winkte den Soldaten. »Einer von euch soll herkommen!«
Mehrere Soldaten eilten auf seinen Ruf hin zu ihm und waren leicht erstaunt, keinen ausgewachsenen Aufständischen, sondern einen ausgesprochen kleinen Jungen vorzufinden. »Der ist wohl in der Feuchtigkeit eingelaufen«, meinte einer.
»Er sagt, er wohnt auf Grabensend«, sagte der Offizier. »Einer von euch bringt ihn nach Hause und sagt seinen Eltern, sie sollen in Zukunft besser auf ihn Acht geben.«
»Grabensend ist nicht mein Zuhause!«, protestierte Mitt. »Da wohne ich nur!«
Allen Einwänden zum Trotz, die Mitt erhob, brachte ihn ein Soldat in der grünen Uniform des Grafen in den Neuen Koog zurück. Fast baumelte er an der Hand des groß gewachsenen Mannes. Mitt schmollte zuerst, enttäuscht und gedemütigt. Und was den Offizier betraf, so fühlte er sich zutiefst ernüchtert. Da vertraute Mitt ihm ein wertvolles Geheimnis an, und der Mann hörte kaum zu. Dafür war der Soldat ein geselliger Mensch. Er hatte selber Kinder, und die Jagd nach dem Aufständischen im windstillen Koog war in der Feuchtigkeit eine schweißtreibende Arbeit gewesen. Der Soldat freute sich über die Abwechslung und sprach sehr vergnügt auf Mitt ein. Es dauerte gar nicht lange, da besserte sich Mitts Laune wieder, und er berichtete fröhlich plaudernd, wie weit er gegangen war und dass er glaube, er würde auch gern Soldat werden, wenn er groß genug dafür wäre, und außerdem Kapitän eines Schiffes des Grafen.
Als sie den Neuen Koog erreichten, kamen die Menschen an die Türen und maßen Mitt, der neben dem Soldaten ging und den Arm ganz hoch über den Kopf recken musste, um dessen warme große Hand zu erreichen, mit kalten Blicken. Graf Hadd war ein strenger Herrscher und zudem nachtragend; die Soldaten aber waren es, die des Grafen gnadenlose Befehle ausführten. Vor kurzem hatte Harchad, der Zweitälteste Sohn des Grafen, den Befehl über das Heer übernommen. Er ging noch strenger als sein Vater vor und war viel grausamer. Doch weil in ganz Dalemark ein Graf in seiner Grafschaft mehr Macht besaß denn ein König, als es noch Könige gab, konnten Harchad und seine Soldaten tun, was ihnen gefiel. Darum wurden Soldaten aus tiefstem Herzen gehasst.
Mitt wusste davon nichts, aber er bemerkte die Blicke. »Guckt doch nicht so!«, rief er immer wieder. »Das ist mein Freund, ja, das ist er!«
Dem Soldaten war zusehends unbehaglicher zumute. »Nur die
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