Jones, Diana Wynne
sprangen behutsam hinunter auf den grünen Morast – grüne Gestalten, dunkler als das Marschland. Also hatte Harchad auch an das Westbecken gedacht. Schneller als eine Ratte über die Müllhalden am Hafen sprang Mitt in den nächsten Graben, durchquerte ihn und kraxelte am anderen Ufer wieder hoch. Und auch die nächsten beiden Gräben hatte er hinter sich gelassen, bevor die Soldaten den ersten erreichten. Als er ein weiteres schleimiges Ufer hinabrutschte, sah er sie dort stehen bleiben, gut hundert Schritte von ihm entfernt.
Bis die da reinsteigen, dauert es noch ein bisschen, dachte er. Mitt war nun noch etwa hundert Schritte von der Mauer entfernt, die das Westbecken auf der Landseite umgab. Er wusste, er würde sie niemals erreichen; es war hoffnungslos. Mit doppelter Hast rannte er den Graben entlang, obwohl es platschte und schmatzte. Mit einer Hand hielt er durch die Jacke seine Büchse fest. »Halte sie trocken«, ermahnte er sich. »Einen oder zwei von denen erwischst du damit vielleicht.« Der Graben krümmte sich und mündete in einen anderen. Als Mitt hochschaute, war die Mauer um das Becken schon um einiges näher gekommen. Er sah einen Pfeiler, an dem er vielleicht hochklettern konnte, aber um ihn zu erreichen, musste er den Graben verlassen. Also kletterte Mitt heraus und warf sich in das feuchte grüne Gras.
Etwas schwirrte an seinem Kopf vorbei, Piooou, und schlug mit einem dumpfen Plock in das Ufer des nächsten Grabens ein.
Wie von selbst sprang Mitt auf und rannte los. Er hatte solche Angst, dass er sich fühlte, als litte er an einer schrecklichen Krankheit. Seine Beine schmerzten, das Atmen tat weh, und ihm war schwindlig. Ringsum schwirrten nun die Kugeln und schlugen ein. Piooou-plock.Piooou-plock. Piooou-plock. Er kam sich vor wie ein Huhn, das noch umherrennt, obwohl man ihm den Hals umgedreht hat. Ganz sicher war er schon tot.
He!, dachte Mitt. Er hatte den Rand eines anderen Grabens erreicht. Piooou-plock. Er warf beide Arme hoch, wirbelte herum und ließ sich fallen. Im Sturz hatte er noch Zeit, Hobins Gürtel herumzureißen, sodass er die Büchse auf dem Rücken trug, wo ihr nichts geschehen konnte. Er fiel mit dem Gesicht ins kalte, salzige Gras und ließ sich seitwärts in den blubbernden Schleim im Graben gleiten. Den Gestank bemerkte er kaum.
Aus der Ferne kam noch ein Ruf, dann herrschte geschäftiges Schweigen.
Gut, dachte Mitt und begann, auf Händen und Knien am Ufer entlangzukriechen.
»Da sind aber viele Leute«, sagte Ynen beunruhigt, nachdem Hildy und er den Damm halb überquert hatten. »Ich glaube, es sind Soldaten. Dort, am Tor zum Becken.«
Sie blieben bestürzt stehen, dann eilten sie mitsamt ihren Futtersäcken an den Straßenrand und verbargen sich zwischen den Bäumen.
»Es muss am Aufstand liegen«, sagte Hildy. »Glaubst du, sie lassen uns vorbei, wenn ich ihnen eine Goldmünze anbiete? Ich habe eine.«
»Ich weiß nicht. Es sind reichlich viele.«
Im Schutz der Bäume gingen sie ganz gemächlich weiter. Was sollten sie tun? Schwer zu sagen. Vielleicht hielten die Soldaten sie gar nicht auf, doch andererseits hatte Onkel Harchad den Wächtern in der Küche befohlen, sie zu ihm zu bringen. Wahrscheinlich hatte er den Wächtern am Westbecken den gleichen Befehl übermitteln lassen.
»Es wäre doch wirklich zu schade, wenn sie uns jetzt noch zurückbringen würden«, sagte Hildy.
Bevor sie nahe genug waren, um etwas Genaues zu erkennen oder selbst entdeckt zu werden, beobachteten sie, wie die Gestalten am Ende der Straße eine nach der anderen zum Straßenrand eilten und zwischen die Bäume verschwanden. Es sah fast so aus, als wären sie vom Damm gesprungen.
»Ob sie nicht wollen, dass wir sie sehen?«, überlegte Hildy und blieb stehen. Sie musste an Bomben und Aufständische denken.
»Ach, komm schon weiter!«, sagte Ynen und rannte los. »Schnell! Solange sie weg sind!«
Hildy holte ihn ein, und sie rannten, so schnell sie konnten. Das Backwerk schlug ihnen auf die Schultern, und auf beiden Seiten flitzten die Bäume vorbei. Von unterhalb der Straße ertönte eine Reihe leiser, dumpfer Knallgeräusche, und zwischen den vorbeisausenden Bäumen sahen Hildy und Ynen Rauchwölkchen und einmal auch einen Blitz. Sofort wechselten sie auf die andere Straßenseite und rannten langsamer weiter. Keiner von ihnen wollte blindlings in ein Feuergefecht laufen.
Doch schon bald verstummten die Schüsse. Keuchend trieb Ynen Hildy zu größerer Eile an, damit
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