Jones, Diana Wynne
schrillen, hochnäsig klingenden Stimmen.
Teil 3
Auf der ›Straße des Windes‹
11.
»Hilf mir, das Großsegel zu setzen, und dann halte dich bereit, die Leinen zu lösen«, befahl Ynen. »Ach, sieh dir das nur an! Überall Schlamm! Ich wusste es doch. Kaum dass ich ihnen den Rücken kehre, fahren diese verwünschten Matrosen mit meinem Boot Hummer fangen!«
»Ich wasche ihn ab, wenn wir unter Segel sind«, sagte Hildy. »Aber lass uns auslaufen, bevor die Soldaten kommen. Der meiste Schlamm liegt ja nur auf der Persenning.« Sie sprang auf das Kajütendach und half Ynen, die Schnüre der Abdeckung zu lösen.
Neben ihr löste Ynen eifrig die Knoten. Er wurde nicht oft wütend, aber jetzt war er es. Jemand war in seiner Abwesenheit auf der Straße des Windes gewesen, seinem Augapfel, dem einzigen Schönen, das wirklich ihm gehörte, und hatte sie verschmutzt. Das konnte er nicht verzeihen. »Also wirklich!«, rief er. »Grüner stinkender Schlamm! Da vertraust du den Menschen, und schon gehen sie hin und hauen dich übers Ohr.«
»Du kannst es den Leuten nicht verdenken, sagt Vater«, entgegnete Hildy. »Ich falte von meinem Ende aus, und dann schnell! Vater sagt, die Armen betrachten die Reichen als Freiwild.«
»Das sieht ihm ähnlich, so was zu sagen!«, erwiderte Ynen gereizt. »Falten, nicht knittern! Aber wahrscheinlich hat er Recht. In Zukunft werde ich die Straße des Windes bewachen lassen.«
»Da sind gerade ein paar Soldaten durchs Tor gekommen«, sagte Hildy, und Mitt, der in seinem Verschlag alles hörte, versteifte sich und ballte die Fäuste. Er konnte nicht sagen, wer diese hochnäsigen Flüchtlinge waren oder weshalb sie es so eilig hatten, aber er wusste genau, dass sie das Boot nicht seinetwegen mit solcher Hast zum Auslaufen klarmachten.
»Löse die Leinen und stoß uns ab«, rief Ynen, »ich setze derweil das Segel. Pass aber auf, dass du uns nicht aus der tiefen Fahrrinne schiebst.«
Ja, und beeil dich ein bisschen, um des Alten Ammets willen!, dachte Mitt.
Mit aufgeregten Bewegungen löste Hildy die Halteleinen und warf sie dröhnend auf die Decksplanken. Aufrollen konnte man sie später noch. Dann stemmte sie sich mit aller Kraft gegen den Steg. Mitt erriet aus dem Schwanken des Bootes, was geschah. Dem rhythmischen Rattern entnahm er, dass das Großsegel gesetzt wurde, dann stampften rasche Schritte zum Bug, und das Boot legte sich nach vorn. Ynen war zum Bug geeilt, um auch die Vorsegel zu setzen, und Hildy stürzte zur Ruderpinne und drehte die Straße des Windes vor den Wind. Danach ertönte ein langsames Plätschern. Die Straße des Windes setzte sich sanft in Bewegung und hielt in der Fahrrinne aufs offene Meer zu.
So leicht können sie uns jetzt nicht mehr stoppen, dachte Mitt. Wer immer diese reichen Schnösel sind, mit einem Boot können sie umgehen. Vermutlich sollte er sich glücklich schätzen, dass sie gekommen waren, aber er war nach wie vor stocksteif vor Angst. Es stand längst noch nicht fest, dass die beiden davon kamen.
Hildy und Ynen beobachteten besorgt, wie die Hafenmole vorbeiglitt, und wünschten, sie würde sich schneller bewegen. Vier oder fünf Soldaten rannten über den Anlegesteg, stolperten über aufgerollte Seile und brüllten.
»Was wollen sie?«, fragte Ynen.
Hildy kicherte nervös. »Ich glaube, sie rufen Halt!«
»Was erwarten die von mir? Soll ich die Zügel straff ziehen?«, fragte Ynen und lachte ebenfalls.
Auf der Hafenmauer erschienen Soldaten. Sie kämpften sich aus dem Marschland hervor, und die meisten waren schlammig. Alle hatten es sehr eilig. Kaum sahen sie die Straße des Windes stolz vorüberziehen und sich ein wenig in den Seewind legen, als sie in helle Aufregung verfielen. Sie riefen sich gegenseitig zu und brüllten Ynen und Hildy an, sofort zurückzukommen. Einer oder zwei von ihnen hoben die Büchsen.
»Sie sind verflixt nah«, sagte Hildy.
»Ich weiß, aber ich traue mich nicht, die Fahrrinne zu verlassen«, sagte Ynen. Die Soldaten wirkten jedoch so zornig, dass er sich entschloss, sie ein wenig zu besänftigen. Er stieg auf den Sitz vor der Plicht, stellte einen Fuß auf die Ruderpinne und winkte. »Es ist schon gut«, rief er fröhlich. »Wir machen nur eine Segelpartie!«
Ein Soldat zielte mit der Büchse auf ihn. Ynen war so überrascht, dass er das Gleichgewicht verlor. Er fiel in die Plicht und stieß dabei gegen die Ruderpinne. Die Straße des Windes drehte, und die Kugel zischte dort
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