Jones, Diana Wynne
durch die Decksplanken und klatschte ins Wasser. Die Plicht füllte sich mit beißendem Pulverrauch.
»Ihr Götter!«, heulte Hildy. Sie befürchtete, sich den Rücken gebrochen zu haben.
Um Atem ringend, lehnte Mitt hustend an der Kajütentür und sah die Handbüchse durch den Qualm anklagend an. Hobin hätte ihn warnen müssen, dass sie solch einen starken Rückstoß hatte. Nachdem der Rauch sich gehoben hatte, entdeckte er Ynen, der sich an der Ruderpinne und der Großsegelleine festklammerte. Er war kreidebleich im Gesicht und starrte auf die lange, tiefe Furche in den schönen Decksplanken der Straße des Windes. Was für ein Trottel, dachte Mitt. Dass sein Boot beschädigt sein könnte, ist ihm wichtiger als sein Bruder – seine Schwester, meine ich. Hildy hatte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einen Ellbogen gestützt und funkelte Mitt wütend an. Mitt betrachtete beide voll tiefster Verachtung. Sie wirkten so weich mit ihrer glatten, wohlgepolsterten Haut und dem dichten, dunklen, gesunden Haar. Er konnte genau sehen, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie Hunger gelitten hatten. Am meisten weckte indessen seinen Abscheu – obwohl er es nicht begriff –, dass Ynen und Hildy das Aussehen ihres Vaters geerbt hatten. Mitt blickte Ynen an und sah eine sanfte Variante von Hadds Nase, bei Hildy bemerkte er das schmale, blasse Gesicht Navis’ und Harchads, und obwohl er beides nicht zuordnen konnte, empfand er augenblicklich Widerwillen wegen ihres Aussehens. Und da er vom Weibsvolk ohnehin eine geringe Meinung hatte, erwiderte er Hildys wütenden Blick und dachte: Was ekelt sie mich an – die ist ja noch schlimmer als ihr Bruder!
Es war nicht überraschend, dass die beiden Mitt mehr oder minder die gleichen Gefühle entgegenbrachten. Sie starrten in sein jung-altes Gesicht und musterten sein strähniges, stumpfes Haar. In seiner knochigen Hand erblickten sie eine Büchse, die aussah wie ein Sammlerstück, sie bemerkten seine zerschlissene Seemannsjacke und den getrockneten grünen Schlamm, der sich von seinen langen, mageren Beinen abschälte. Sie wussten sofort, dass er zum Hafengesindel gehörte. Und sie hielten ihn für einen Dieb. Sie fanden ihn abscheulich.
»Na, jetzt wissen wir ja, hinter wem die Soldaten her waren. Und wo der viele Schlamm herkam«, sagte Hildy.
»Bist du schlimm verletzt?«, fragte Ynen sie. Er fühlte sich schrecklich hilflos. Er wagte nicht, die Ruderpinne loszulassen, um ihr zu helfen, und genauso wenig wagte er, das Ruder herumzureißen und Kurs nach Holand zu nehmen, sosehr er es auch wünschte, denn er fürchtete sich zu sehr vor dem ekligen blinden Passagier mit seiner Büchse.
»Nein, mir geht es gut«, sagte Hildy und erhob sich unsicher. »Er hat mich natürlich verfehlt.«
»Ich hab gar nicht versucht, dich zu treffen«, entgegnete Mitt voll Geringschätzung. »Du bist in mich hineingelaufen wie eine ganze Kuhherde. Du solltest besser aufpassen. Meine Büchse geht sehr leicht los.«
»Na, das gefällt mir!«, rief Hildy.
»Warum steckst du sie nicht weg, wenn sie so leicht losgeht?«, fragte Ynen.
Mitt beachtete ihn nicht. Er sah zum Segel und zur Flagge hoch, die an der Mastspitze flatterte. Jawohl, der Wind stand günstig, um nach Norden zu kommen. Steuerbords zog sich das Land in sanften blauen Hügeln dahin. Mitt brauchte nur einen Blick, um Kap Hoe fast eine Meile achtern auszumachen. Der Buckel, den Ynen für Kap Hoe gehalten hatte, war in Wirklichkeit der Kopf von Canderack. Mitt war beeindruckt. Bis Sonnenuntergang blieb noch immer eine Stunde. Er konnte nicht anders, er musste grinsen.
»Schön, schön«, sagte er. »Ein gutes, schnelles Boot habt ihr hier. Genau richtig, um in den Norden zu fahren, was?«
Ynens Gesicht wurde noch bleicher, als er begriff, was der blinde Passagier zu planen schien. »Wir werden dich auf keinen Fall nach Norden bringen«, sagte er, »wenn du es darauf anlegst.«
»Ihr habt ja nun nicht gerade die Wahl, oder?«, entgegnete Mitt und gab vor, die Büchse an seinem Ärmel abzuwischen. Tatsächlich rieb er sie nicht, denn dazu fürchtete er zu sehr, sie könnte erneut losgehen. »Ich hab schließlich die Büchse.«
»Du kannst mich ja erschießen, wenn du willst«, sagte Ynen. »Aber nach Norden bringe ich dich nicht.« Er fragte sich, ob es sehr wehtue, erschossen zu werden, und sagte sich, dass es vermutlich der Fall wäre. Er konnte nur hoffen, dass er rasch starb.
»Sei kein Dummkopf, Ynen!«, rief Hildy.
»Er
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