Jones, Diana Wynne
Besseres zu verdienen?«, fragte Mitt gehässig. »Hüte bloß deine Zunge.« Es ärgerte ihn, als die beiden einen Blick tauschten, der alles andere als eingeschüchtert wirkte. »Na los schon. Was ist in dem Sack?«
Wie erleichtert er war, als er sah, dass es Pasteten waren – und Kuchen. Er hatte sich schon gefragt, wie er essen und gleichzeitig Hobins Büchse in der Hand halten sollte. Er fürchtete, dass die beiden ihn über Bord stießen, wenn er die Waffe auch nur für einen Augenblick aus der Hand legte. Doch Backwerk konnte er mit einer Hand essen.
Die Kuchen und Pasteten sahen längst nicht mehr so verlockend aus wie in der Speisekammer. Saft und Soße waren herausgelaufen und hatten anderes Gebäck durchtränkt. Mitt kümmerte das wenig. Seit dem Frühstück hatte er nichts Richtiges mehr gegessen. Er beabsichtigte, seine einschüchternde Haltung damit zu untermauern, dass er laut schmatzte und schlürfte, doch kaum hielt er den ersten Kuchen in der Hand, vergaß er alles, nur nicht, wie hungrig er war. Er konnte nur noch ans Essen denken. Kaum bemerkte er den ungewohnten, erlesenen Geschmack – er gierte nur noch nach Essbarem. Er aß fünf Filetpasteten, ein Goldfasanpastetchen, sechs Austernbeutel, eine flache Hähnchenpastete, vier Käseküchlein und neun Fruchttörtchen. Als er sich endlich leicht zurücklehnte, dachte er, dass seine Völlerei die beiden wahrscheinlich fast genauso gut eingeschüchtert hatte wie die beabsichtigten Essgeräusche. Sie starrten ihn groß an und wirkten gründlich erschüttert. Ohne sich große Mühe zu geben, rülpste Mitt lautstark, damit sie auch ganz sicher wussten, wie grobschlächtig und verdorben er war.
Tatsächlich waren Ynen und Hildy nur beeindruckt. Sie hatten nicht gewusst, dass es möglich war, solchen Appetit zu haben.
Das erklärt die dürren Beine, dachte Hildy und musterte sie erneut. Die Sonne versank ins Meer und tauchte alles in einen buttergoldenen Schein. Durch das starke gelbe Licht sah Hildy, dass der Schlamm größtenteils von den Beinen des fremden Jungen abgeblättert war. Nun zeigte sich, dass er eigenartige, altmodische Kniehosen trug, das eine Bein rot, das andere gelb. Dieser Anblick traf Hildy wie ein Hieb, und sie platzte heraus: »Jetzt weiß ich, wer du bist! Du hast die Bombe geworfen, die Vater davongetreten hat!«
12.
Mitt blickte von Hildy zu Ynen. Nun erst wurde er sich der Familienähnlichkeit bewusst, die er die ganze Zeit nur gespürt hatte. Nach der gewaltigen Mahlzeit fühlte er sich träge und fast unerträglich schläfrig. Sein erster Gedanke war, wie komisch dieser Zufall doch sei. Hadd hatte seine Familie zugrunde gerichtet. Navis hatte all seine Pläne vereitelt. Und nun sah er Navis’ Kinder vor sich, die ihn so oder so retten würden. Er lachte. »Na, das nenn ich ausgleichende Gerechtigkeit«, sagte er. »Also ist Navis euer Alter?«
Hildy hob das Kinn und gab sich so ehrfurchtgebietend, wie sie konnte. »Jawohl«, antwortete sie von oben herab. »Und ich möchte dich wissen lassen, dass ich Lithar versprochen bin, dem Baron der Heiligen Inseln.«
»Ach, sei still«, sagte Ynen voll Unbehagen. »Du klingst ja wie unsere Basen.«
Tatsächlich hatte Hildy ihre Base Irana imitiert, die mit ihrem Verlöbnis geprahlt hatte, und nun war sie ärgerlich auf Ynen, weil er sie durchschaute. Sie wandte sich von ihm ab und blickte Mitt erwartungsvoll an; sie hoffte, ihn wenigstens ein bisschen aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben.
Mitt lachte auf. »Versprochen! Du!« Versprochen wurden sich Leute, wenn sie in Lyddas Alter waren, achtzehn Jahre und erwachsen. Hildy war nur ein kleines Mädchen mit Rattenschwänzchen. »Bist du dafür nicht noch etwas zu klein?« Dann aber traf ihn die Bedeutung des Gehörten. Er fühlte sich so beunruhigt, wie Hildy nur gehofft haben konnte, aber er lachte weiter. Er wagte nicht, ihnen zu zeigen, dass er sich Sorgen machte. Also gut, dieses Mädchen war wichtig. Mitt erinnerte sich, dass Milda ihm von Lithar erzählt hatte. Nun stand außer Zweifel, dass Schiffe sie von Holand aus verfolgen würden, und andere kämen ihnen von den Heiligen Inseln entgegen. Also blieb Mitt keine andere Wahl: Er musste Navis’ Kinder zwingen, das Boot geradewegs aufs Meer hinauszusteuern. Tagelang würden sie den Verfolgern ausweichen müssen, und selbst dann wurde er vielleicht gefasst. Allein der Gedanke machte ihn noch müder. »Naja, es ist schließlich deine Angelegenheit«, sagte er. »Was
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