Jones, Diana Wynne
betonen zu können. Er setzte sie sich an den Hals und saugte gurgelnd einen großen Schluck heraus, bevor Hildy ihm eine Tasse aus der Kajüte bringen konnte. Eigentlich hatte er beabsichtigt, den Wein ganz auszutrinken, aber dazu schmeckte er zu schlecht. Als er Hildy die Flasche zurückgab, war sie weit weniger als zu einem Viertel gefüllt.
Hildy wischte angewidert den Flaschenhals sauber und teilte den Rest auf zwei Tassen für sich und Ynen auf. Sie tranken langsam und setzten sich, um zu warten, während die Dämmerung der Nacht wich.
Kurz darauf wurde Ynen sehr fröhlich, und Hildy fühlte sich leicht schwindlig. Was Mitt betraf, so zeigte der Wein eine Wirkung, die nach dem schweren Essen bei seiner Müdigkeit unabwendbar war. Vor seinen Augen breiteten die niedrigen schwarzen Buckel Festland sich aus wie Tintenkleckse. Als die Sterne aufgingen, sah er sie nur verschwommen. Immer wieder sank ihm das Kinn auf die Brust. Am Ende erhob er sich schwankend.
»Muss mich mal hinlegen«, sagte er. »Bloß keine komischen Ideen, ihr zwei. Ich hör wie ‘n Luchs.« Er torkelte in die Kajüte, während Hildy und Ynen sich beide auf die Faust beißen mussten, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Schwerfällig ließ sich Mitt auf die Backbordkoje sinken.
Hildy stieß Ynen bedeutsam an und setzte sich vor die Deckskästen, sodass sie in die Kajüte blicken konnte. Sie warteten, dass Mitt einnickte. Doch obwohl Mitt eigentlich nichts lieber gewesen wäre, er konnte nicht schlafen. Die Bewegungen der Straße des Windes und die Bewegungen, die der Wein in seinem Kopf ausgelöst hatte, schienen in direktem Widerstreit zueinander zu stehen. Manchmal glaubte er fest, das Boot sei in einen Strudel geraten. Manchmal war er sicher, seine Beine seien hoch über seinem Kopf. Mehrmals setzte er sich auf, um zu sehen, was eigentlich vor sich ging. Und jedes Mal sah die Prachtkabine genauso aus, wie sie aussehen sollte, hob und senkte sich sanft, während die Laterne an der Decke hin und her schwang. Nach einer Weile begriff er, dass ihm nur dann so merkwürdig war, wenn er die Augen schloss. Also behielt er sie offen.
Infolgedessen hatte er eine Reihe schrecklicher Träume, bei denen er halb wach blieb. Aus einem vergoldeten Bullauge starrte Harchad ihn an, und Mitt war vor Entsetzen wie gelähmt. Endlos rannte er vor Soldaten davon. Er kämpfte sich durch unzählige Gräben. Mehrmals wurde er in den Bauch geschossen. Einmal warf er Hadd die Bombe vor die Füße, und der Arme Alte Ammet bückte sich danach, holte mit seinen Stroharmen aus und schleuderte sie Mitt ins Gesicht. »Du bist wirklich in großen Schwierigkeiten«, sagte er und klang dabei wie Hobin. Dann zerfiel er in Stücke wie Canden. Mit einem Angstschrei setzte Mitt sich auf. Nachdem er sich wieder hingelegt hatte, wurde es ein wenig ruhiger, bis Libby Bier an die Reihe kam. Sie rannte auf Mitt zu, ihre Obstaugen wackelten an Stängeln, und sie trat die Bombe nach ihm. »Ich habe dich aufgezogen, damit du es tust, Mitt«, sagte sie tadelnd. Dann explodierte die Bombe, und Mitt fuhr schreiend hoch.
Hildy und Ynen hofften, dass er endlich mit dem Schreien aufhören würde und zu schlafen begänne. Sie wollten kehrtmachen und nach Hause fahren. Die Schreie ängstigten sie. Der Junge musste ein abscheulicher Sünder sein. Die Laute ließen sie an all das denken, was sie über Onkel Harchad gehört hatten, und an den furchtbaren Tag, als die Nordmänner gehenkt wurden. Mittlerweile war es schwarze Nacht, und Ynen fürchtete sich sehr. Er hatte länger an der Ruderpinne gestanden als jemals zuvor in seinem Leben, und bei Nacht war er noch nie gefahren. Ihm war kalt, jeder Muskel schmerzte ihn, und er war hundemüde und fürchtete sich vor Sandbänken, die er nicht sehen konnte. Was er jedoch sah, ängstigte ihn noch mehr. Es war nicht in der Weise finster, wie es in einem geschlossenen Raum dunkel wird. Das Meer war schwach in allen Richtungen zu erkennen, wie es sich endlos hob und senkte. Der Himmel erinnerte an eine riesige leere Schüssel, dunkelblau und mit Sternen besprenkelt. Das Land ließ sich nur weit entfernt zur Rechten erahnen. Die Geräusche der Segel und das Zischen und Gluckern der vorüberziehenden Wellen schienen ihm nur umso deutlicher zu zeigen, wie klein und verloren die Straße des Windes war. Ynen wurde sich plötzlich des viele Faden tiefen Wassers unter sich bewusst, das ihm nicht den geringsten Halt bot. Er war ganz allein mitten
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