Jones, Diana Wynne
stürzte Ynen hinterher und bekam ihn gerade noch mit beiden Händen am Knöchel zu fassen. Der Brecher donnerte hart und schwer über sie hinweg. Gurgelnd lief das Wasser wieder ab. Es schob Ynen in Mitts ausgebreitete Arme und warf sie beide auf das schräge Kajütendach. Weder Mitt noch Hildy konnten sagen, wie sie überlebten. Hildy hatte nur gesehen, wie die Straße des Windes mit der Gewalt eines Geschosses schräg die Spitze des Brechers durchschlug. Aber wie sie danach die unbändige Ruderpinne noch in der einen und die Segelleine in der anderen Hand halten konnte, das war ihr unerklärlich.
»Ihr Götter! Es tut mir Leid!«, rief sie Mitt zu, während er nass und erschrocken vom Kajütendach glitt und Ynen mit sich zerrte.
»Mach das bloß nicht noch mal!«, schrie Mitt zurück. Die Straße des Windes stürzte nun ins Wellental, und er nutzte die Bewegung, um Ynen in die Kajüte zu schieben. Zu seiner großen Erleichterung lebte Ynen nämlich noch. Er zuckte und murmelte elend vor sich hin. Mitt wagte es nicht, länger bei ihm zu bleiben. Eilig keilte er ihn mit Decken fest. »Beweg dich nicht!«, brüllte er, obwohl es in der Kajüte fast still war. »Du hast eine hübsche Schramme abgekriegt.« Erbärmlich zitternd stieg die Straße des Windes wieder hoch. Mitt warf sich in die Plicht und entwand Hildys schwachen Händen die Ruderpinne. Der Sturm heulte nun zu laut, als dass man sich selbst mit Schreien noch hätte verständigen können.
Mitt bemerkte, dass er gerade noch rechtzeitig gekommen war. Ringsum heulte und brüllte und tobte der schwerste Herbststurm seines Lebens. Die Rückströmung des letzten Brechers hielt die Straße des Windes gepackt, halb quer geschlagen lag sie in dem Tal zwischen zwei hohen Wasserbergen. Schlimmer noch, während sie sich dort wälzte, schirmte das Wasser den donnernden Wind größtenteils ab. Das Segel schlug mit vernichtender Gewalt zurück und drohte die Jacht zum Kentern zu bringen. Mitt, der sich gegen die schier unbewegliche Ruderpinne stemmte, schrie auf und bedeutete Hildy mit Gebärden, die Leine einzuholen und das Segel zu halten. Ein ganzes Lebensalter schien zu vergehen, bevor sie begriff und das Seil kreischend über die Blöcke sausen ließ. Noch immer trug sie einen dumpfen, verwirrten Ausdruck im Gesicht, doch Mitt hatte keine Zeit für sie. Er konnte dem Alten Ammet nur danken, dass er nun kräftiger war als beim letzten Mal, da er auf einem Boot fuhr. Noch nie hatte ihm etwas so viel Mühe gemacht wie die Straße des Windes. Sie wollte sich einfach nicht beidrehen lassen. Wie im Krabbengang erklommen sie eine hohe Wasserböschung, höher und höher, bis sie, fast auf die Seite gelegt, direkt unterhalb der gischtenden Schaumkrone in der Welle hingen. Die Straße des Windes neigte wohl zum Selbstmord. Mitt spürte, wie sie kentern wollte, und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Ruderpinne.
Brüllend traf sie der Wind mit ganzer Gewalt. Mitt und Hildy schrien auf; die Stimmen brachen ihnen aus den Kehlen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnten. Es krachte. Die Segelleine entglitt Hildys Fingern, und der Ruck hätte ihr fast die Schultern ausgekugelt. Wasser türmte sich auf und stürzte nieder, prasselte über den Bug, hämmerte auf die Kajüte, donnerte über Hildy und Mitt hinweg, bis sie genauso zerschlagen wie nass waren, und strömte zischend und brodelnd weiter.
Der Mann am Bug mit dem flatternden hellen Haar begriff ihre Not und lehnte sich, am vorderen Tauwerk der Straße des Windes zerrend, in die Welle. Die Jacht wollte nicht nachgeben, doch Mitt beobachtete, wie der Mann sie mit schierer Gewalt herumriss. Einen winzigen Augenblick lang sah er ihn ganz deutlich. Sein Haar war weiß wie die Gischt. Er verscheuchte die Pferde, die das Boot zu erdrücken suchten. Die Straße des Windes warf sich über die Wellenkrone und rutschte die wässrige Böschung hinab. Nur mit größter Mühe konnte Mitt sie aufrecht halten. Neben ihm packte Hildy zu seiner Erleichterung die Segelleine wieder, als sie während des Sturzes der Jacht wieder in ihre Reichweite kam.
Mitt konnte das Boot nicht gerade halten, denn wieder sank die Straße des Windes in ein Wellental und schlug quer. Diesmal schien sie nicht mehr hochkommen zu wollen. Doch vor der schaumbedeckten Fläche aus dahinschießendem schwarzem Wasser war der Mann im Bug da und riss das Boot für ihn gerade. Im nächsten Moment aber war die Jacht schon wieder auf ihrem Übelkeit erregenden Weg nach
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