Jones, Diana Wynne
Hildy. Sie meinte auch, dass Ynen nicht erkannt hatte, worauf Mitt hinauswollte, und der beste Weg, Mitt davon abzulenken, bestand ihrer Ansicht nach darin, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass auch sie ihre Schwierigkeiten hätten. Sie berichtete ihm von ihrer vorgetäuschten Flucht mit Hilfe der Tagesdecke und ihrem wirklichen Entkommen mit den Pasteten.
Mitt unterdrückte ein Grinsen. Für die beiden war es nur ein Spiel.
Ynen schien nicht bemerkt zu haben, dass er Mitt falsch verstanden hatte. Bewundernd blickte er die kleine Libby Bier an, auf der schon die Gischt glänzte, und stolz sah er zum Alten Ammet hinüber, der sich mit dem Bugspriet hob und senkte. Währenddessen erwog er alles, was er nun über Mitt wusste. Es passte irgendwo nicht zusammen, und Ynen wollte wissen, wieso. »Hör mal«, sagte er. »Du musst doch vorher gewusst haben, dass sie dich hetzen würden, nachdem du die Bombe geworfen hast. Das muss dir doch klar gewesen sein. Hattest du denn überhaupt keinen Fluchtplan gemacht?«
»Oder bist du da stehen geblieben, weil du mit in die Luft fliegen wolltest?«, fragte Hildy, denn anders konnte sie sich Mitts auffälliges Gebaren nach dem Bombenwurf nicht erklären.
Mitt richtete die Augen auf den schwankenden Horizont. Er konnte es ihnen wohl genauso gut sagen, wenn sie ihm ihre alberne Flucht mit den Pasteten gestanden. An Hildys Geschichte stimmte jedoch seiner Meinung nach etwas nicht – irgendetwas passte da nicht recht zusammen. Mitt merkte das genauso deutlich, wie Ynen es offensichtlich bei seiner Geschichte spürte. »Sie haben schon Pläne gemacht – die Freien Holander«, sagte er, »aber ich habe nie zugehört, weil ich vorhatte, mich fangen zu lassen. Ich wollte Hadd töten, und wenn sie mich fassten, wollte ich verraten, dass die Freien Holander dahinter stecken. Damit wollte ich ihnen heimzahlen, dass sie damals meinen Vater verraten hatten. Die Freien Holander haben ihn nämlich angezeigt. Mein halbes Leben lang habe ich meine Rache geplant. Und dann geht euer Vater hin und verdirbt mir von einem Augenblick zum anderen alles. Deshalb bin ich dort stehen geblieben – weil alles verloren war!«
Hildy und Ynen schwiegen. Mitt fragte sich nicht, was sie wohl schockiert habe. Er nahm die Augen vom Horizont und ertappte sie, wie sie einen Blick tauschten, der nicht erschrocken, sondern zutiefst verwirrt war.
»Und alles, was ich getan hatte, war umsonst!«, sagte er aggressiv. »Drei Jahre lang habe ich Schießpulver beiseite geschafft. Fünf Jahre lang haben meine Mutter und ich den Anschlag geplant. Und euer Vater tritt die Bombe weg, anstatt mich zu packen. Dann laufe ich auf diese Schwachköpfe von Soldaten zu, und sie verlieren mich trotzdem. Was hätte ich danach tun sollen? Zum Palast gehen und sagen: ›Da bin ich!‹?«
»Darum geht es nicht«, sagte Ynen. »Du sagst andauernd, dass jeder jeden meldet, weil alle Angst haben – und das glaube ich dir auch –, aber warum wirfst du den Freien Holandern vor, deinen Vater angezeigt zu haben, findest es aber in Ordnung, dass diese Frau dich den Soldaten verraten hat?«
»Sie war schließlich nicht mit mir befreundet, oder?«, erwiderte Mitt barsch.
Ein neues, verwirrtes und verlegenes Schweigen folgte, in denen nur die Geräusche des Tauwerks in einem Wind zu hören waren, welcher abzuflauen schien. Hildy und Ynen schauten sich an. Beide dachten sie an den Sohn des Grafen von Hannart und fragten sich, wie sie nur ausdrücken sollten, was sie dachten.
»Ich verstehe nicht viel von Müttern«, sagte Hildy vorsichtig, »denn ich habe keine. Aber…« Sie verstummte und blickte Ynen hilfesuchend an.
»Du weißt doch…«, stammelte Ynen, »und deine Mutter weiß es doch auch … oder nicht… was so passiert, wenn Leute für so etwas verhaftet werden, wie du es getan hast? Hast du von meinem Onkel Harchad gehört?«
Harchads Gesicht und die entsetzliche Furcht, die Mitt befallen hatte, als er es erblickte, schienen sich in seinem Kopf nun mit dem Albtraum vermischt zu haben, in dem sich Canden schlurfend der Tür näherte. Trotz seiner dicken Jacke fröstelte ihn, und er bekam eine Gänsehaut. Hildy und Ynen wollte er jedoch nicht zeigen, wie er sich fühlte. »Ich habe von ihm gehört«, räumte er nur ein.
Hildy erschauerte offen. »Ich habe etwas gesehen. Einmal.«
»Darum haben wir versprochen, dich nach Norden zu bringen«, ergänzte Ynen.
»Danke«, sagte Mitt und starrte hölzern auf den Horizont. Er war sich
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