Jones, Diana Wynne
mit den dünnen Schnüren, die vom Segeltuch herunterhingen, den Reffbändern, an die Spiere zu binden, und er knüpfte so rasch, als hinge sein Leben davon ab. »Wir haben auch ein Sturmsegel«, sagte Ynen.
Mitt schüttelte den Kopf, denn er wusste, wie lange zwei Jungen brauchen würde, um das riesige nasse Segel zu bergen und ein anderes zu setzen. »Dann erwischt uns der Sturm mittendrin. Es wird auch so schon schlimm genug. Sie liegt schrecklich hoch im Wasser. Hilf mir binden! Schnell!«
Während Mitt und Ynen am Kajütendach entlangkrochen und die Reffbänder verknoteten, stand Hildy auf dem Sitz, den Fuß auf der Ruderpinne, und schnürte über ihrem Kopf das Segel zusammen. Sie knüpften kalte, nasse Reffknoten, bis ihnen die Finger schmerzten. Mit der zweiten Falte wiederholten sie das Ganze, dann mit der dritten noch einmal. Als sie damit fertig waren, führte die Straße des Windes nur noch ein absurd kleines Dreieck als Segel, über das der lange nackte Mast weit hinausragte. Der Regen traf sie nun in böigen Wolken, und sie waren von Grau umgeben und konnten nichts sehen, was weiter als zwanzig Ellen entfernt war. Innerhalb dieses Kreises waren die Wellen gelbgrau, hoch und spitz. Der kahle Mast schwenkte hin und her. Das Deck stieg und sank im Rhythmus des Seegangs so hoch und so tief, dass jemandem beim bloßen Hinsehen übel werden konnte.
»Löse den Baum auf keinen Fall, bevor wir die Vorsegel eingeholt haben«, rief Mitt Hildy zu. Das Wetter erschien nun lauter, auch wenn man nur schwer sagen konnte, was den Lärm verursachte. Im Bug rangen Mitt und Ynen mit den klatschenden Segeln und glitten immer wieder auf den rutschigen Planken rings um den Alten Ammet aus. Gerade noch zeigten sie himmelwärts, schienen in den peitschenden Regen aufsteigen zu wollen, und schon im nächsten Moment stürzte sich der Arme Alte Ammet wie ein Mann auf einem Rodelschlitten in eine gelbgefleckte graue Welle.
Ynen schluckte vor Schwindel. »Wird es schlimm?«, brüllte er.
Mitt versuchte gar nicht erst, ihn zu täuschen. »Es wird entsetzlich!«, bellte er zurück. Vermutlich war es ganz gut, sagte er sich, dass er nicht genügend Atem übrig hatte, um Ynen zu erklären, dass Herbststürme wie dieser, in den sie geraten waren, manchmal tagelang anhielten. Mitt ahnte, dass sie ertrinken würden, bevor der Tag zu Ende ging. Nun da er hellwach war, sah er mit schrecklicher Gewissheit vorher, dass die Straße des Windes kentern musste. Er spürte es an der Art, wie sie sich unter ihm bewegte. Sie war schließlich nur eine Vergnügungsjacht für reiche Leute, ein Schönwetterboot. Und als der Arme Ammet sich wieder wütend in den nächsten gesprenkelten Wasserberg stürzte, war Mitt genauso verängstigt wie in Holand, als er zwischen den murmelnspielenden Jungen kauerte. Er war blind vor Panik. Ihm war, als wäre er vor sich selbst davongelaufen und hätte seinen Kopf leer hinterlassen. Mitt wusste, dass es so nicht ging. Es hatte keinen Sinn zu glauben, Ynen könnte die Jacht alleine meistern. Mitt musste sich beeilen, wieder einen klaren Kopf bekommen und sich notfalls mit Gewalt an die Stelle zurückbringen, wo er noch einen Arm voll triefend nasses Segel aufnehmen und taumelnd zum Luk schaffen konnte. Von dem alten furchtlosen Mitt war wirklich nichts mehr übrig, überlegte er, während er das Segeltuch hineinschob, hinterhertrat, den Deckel schloss und verriegelte. Noch nie hatte er ein Boot geführt. Am liebsten hätte er nach Siriol gerufen.
Ynen und er krochen auf das schaukelnde Kajütendach zurück. Als Hildy sie kommen sah, gehorchte sie ihren Befehlen und begann, die Vertäuung rings um die Spiere aufzuschnüren. Sie hatten sich wie Idioten verhalten, sie und Ynen, als sie unter der Persenning hockten und tatenlos den Sturm heranschleichen ließen. Hildy hatte seitdem versucht, kluge Effizienz an den Tag zu legen, denn sie wollte nicht, dass jemand wie Mitt sie für einen Dummkopf hielt. Doch ahnte sie nicht, mit welcher Kraft der Sturm schon blies. Als sie den Hauptknoten löste, riss ihr der Wind alles aus den Händen.
Mit einem lauten Knall schlug das Segel herum und legte das Boot vor der heranwogenden nächsten Welle quer. Der riesige Brecher würde auf die Breitseite der Jacht prallen. Die Spiere schnellte über das Kabinendach hinweg und traf Ynen mit einem dumpfen Laut am Kopf. Er verlor sofort das Bewusstsein und wurde hilflos zur Seite geschleudert.
14.
Hildy kreischte auf. Mitt
Weitere Kostenlose Bücher