Jones, Diana Wynne
nicht ganz sicher, was in ihm vorging. Er fror, und ihm war übel. Obwohl er Harchad und Canden aus seinen Gedanken vertrieb, spürte er eine schwere Sorgenlast, von der er Kopfschmerzen bekam und die sein Gesicht zu einer eigenartigen Grimasse verzerrte. Ynen und Hildy sahen ihn fassungslos an, denn Mitts Gesicht sah aus, als gehörte es einem alten Mann; alle Jugendlichkeit war daraus verschwunden. »Hört mal«, sagte Mitt schließlich, »ich fühle mich immer noch wie erschlagen. Habt ihr was dagegen, wenn ich mich hinlege?«
Wortlos übernahm Hildy die Ruderpinne. Mitt schleppte sich in die Kajüte, legte sich auf seine Lieblingskoje an Backbord und sank sofort in tiefen Schlaf.
»Ynen, warum musstest du ihm denn so zusetzen?«, flüsterte Hildy, obwohl der Vorwurf völlig ungerechtfertigt war.
»Weil ich ihn nicht verstanden habe«, entgegnete Ynen. »Und ich begreife ihn noch immer nicht. Warum ist er denn so schlafen gegangen?«
»Ich glaube, weil du – weil wir mehr in ihm aufgerüttelt haben, als er ertragen konnte«, antwortete Hildy. »Er ist furchtbar durcheinander. Vielleicht kommt es daher, weil er so ungebildet ist.«
»Er hat mich auch durcheinander gebracht«, erwiderte Ynen verärgert. »Ich weiß nicht, ob er mir nun Leid tun soll oder nicht.«
Der abflauende Wind trug Nieselregen herbei. Ynen und Hildy holten sich eine Persenning und breiteten sie über ihre Köpfe und Schultern. Der Regen nahm zu, und der Wind frischte ein wenig auf, bis die See so kabbelig geworden war, dass Hildy Schwierigkeiten hatte, zu steuern und gleichzeitig die Segelleine zu halten. Das Segel war vom Regen gelbgrau und schwer geworden.
»Elendes Wetter!«, rief sie. Wasser tropfte ihr von der Nasenspitze und vom Kinn.
»Ich frage mich, ob wir vielleicht die Segel reffen sollten«, sagte Ynen.
Kurz vor Mittag weckte die Kabbelung Mitt. Der Wind hat gedreht, dachte er. Kommt jetzt mehr vom Land.
Noch duselig stolperte er in die Plicht und merkte erst dort, dass es in Strömen goss. Der Regen prasselte in die Plicht, klatschte auf die Planken, trommelte auf die Persenning, unter die Hildy und Ynen sich duckten, und schlug unzählige Pockennarben in die gelbgrauen Wellen ringsum. Die Form dieser pockennarbigen Wellen gefiel Mitt gar nicht, denn sie erinnerten ihn an wütend gefletschte Zähne.
»Ich habe mich gefragt, ob ich reffen soll – nur für alle Fälle«, sagte Ynen zu ihm.
Mitt blickte ihn an und runzelte schläfrig die Stirn über das kalte Wasser, das ihm ins Gesicht peitschte. Hinter Ynen glänzte die kleine Figur von Libby Bier im Regenwasser wie neu. Jenseits davon, durch die Schleier silbrigen Regens kaum zu erkennen, thronte etwas, das aussah wie ein Berg, der vom Land in den Himmel aufragte, monströs, schwarz und bedrohlich.
»Was hältst du vom Reffen?«, fragte Ynen.
Mitt starrte den Berg aus schwarzem Wetter entgeistert an. Als er so etwas das letzte Mal sah, hatte Siriol die Blume von Holand so rasch es ging nach Kleinkoog gebracht, und sie waren gerade noch rechtzeitig dort eingetroffen. Dieses Unwetter war doppelt so nah. Sie konnten die Küste nicht mehr erreichen. Die beiden hatten mit dem Rücken dazu gesessen, aber trotzdem! »Lodernder Ammet!«, rief Mitt.
»Also, ich dachte, ich reffe«, sagte Ynen unsicher.
»Was mache ich denn, dass du immer noch fragst?«, rief Mitt aufgeregt. »Du hättest mich schon vor einer Stunde wecken sollen. Drei Reffs brauchen wir, und beeil dich, um des Alten Ammets willen! Ich wette, dieses Boot ist nicht besonders handlich.«
Ynen war erstaunt. »Drei?« Hildy war so überrascht, dass sie die nasse Ruderpinne losließ. Die Straße des Windes schwang herum, und die Spiere schoss über ihre Köpfe hinweg. Mitt fing sie ab, stemmte sich gegen den Druck des Windes und das Gewicht der triefenden Segel. An der Eile, mit der Mitt sie festband, erkannte Ynen, wie ernst es ihm war. Er schlüpfte unter der Persenning hervor und stieg im hämmernden Regen auf das Kajütendach, von wo aus er die Leinen erreichte, mit denen das Großsegel verkleinert wurde. Als er das Unwetter erblickte, das er wegen der Persenning vorher nicht gesehen hatte, überraschte ihn Mitts Befehl gar nicht mehr. Ynen war noch nie bei solch schlechtem Wetter auf See gewesen, aber er wusste, dass bei solchem Himmel alle Boote zusahen, den Hafen von Holand zu erreichen, so rasch es nur ging. Er ließ das große Dreieckssegel um etwa eine Elle herab. Mitt begann, die entstandene Falte
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