Jones, Diana Wynne
ihn am Ärmel. Navis schüttelte Mitts Hand ab und ging weiter. Mitt war gezwungen, neben ihm herzueilen und sich zu erklären.
»Hör doch, dort ist es gefährlich für dich. Lithar ist nicht ganz richtig im Kopf, und der Kerl, von dem Hadd erschossen wurde, hat ihn in der Hand. Er hat ihn dazu gebracht, Hildy und Ynen gefangen zu nehmen. Sie sind dort oben, in dem Zimmer mit den vergitterten Fenstern. Sieh doch hin!«
Da so wenige Menschen in der Nähe waren, wagte Mitt, auf das Fenster zu zeigen, doch Navis ließ sich nicht herab, in die bezeichnete Richtung zu blicken. Er ging weiter, während er überlegte, aus welchem Grund der mordlustige Bengel ihm diesen Bären wohl aufbinden wolle. Von Mitt nahm er gar keine Notiz.
»Vater hört nicht zu!«, sagte Hildy, die Stirn zwischen zwei Stäbe gedrückt. »Das sieht ihm wieder einmal ähnlich!«
»Vielleicht tut er nur so, als ob er nicht zuhören würde, weil das am sichersten ist«, hoffte Ynen.
Das hoffte Mitt auch. »Hildy und Ynen schicken mich«, erklärte er, denn das musste Navis doch überzeugen. Doch anscheinend ohne zuzuhören, durchschritt Navis den Haupteingang des Herrensitzes und gelangte in einen steinernen Saal aus Stein, der voller Menschen war. Mitt blieb an der Tür zurück und fragte sich, ob er es wagen durfte, Navis hineinzufolgen. Die Menschen hier waren zumeist Inselbewohner. Ihr singender Tonfall hallte im Raum wider. Mitt kam zu dem Schluss, es wäre ungefährlich, lief Navis hinterher und versuchte es ein letztes Mal.
»Komm mit hinaus«, sagte er, nachdem er sich neben Navis gedrängt hatte. »Sie verkaufen dich an Harl, und der wird dich töten. Ehrlich!«
Navis blickte jemand an, der hinter Mitt stand, und rief laut aus: »Würde bitte jemand dieses aufdringliche Kind entfernen!«
Mitt spürte Bewegung in der Menge und machte sich bereit davonzulaufen. »Hast du denn keine Ohren im Kopf, du begriffsstutziger Quadratschädel?«
»Hältst du endlich deinen unerquicklichen Mund?«, entgegnete Navis. »Wache! Entferne den Bengel auf der Stelle!«
Mitt fuhr herum und wollte davonlaufen, doch die Wache war näher, als er gedacht hatte. Zwei große Männer packten ihn schon beim Umdrehen, und Mitt verlor die Beherrschung. Er trat um sich und versuchte sich loszureißen. Navis bedachte er mit einer Reihe von Schimpfwörtern, die er im Hafen gelernt hatte.
»Ach, du schon wieder«, sagte Al hinter Mitt. »Nur keine Sorge, Herr. Um den kümmere ich mich schon.«
Im vergitterten Kinderzimmer warteten Hildy und Ynen. Lange Zeit glaubten sie, dass Mitt, ganz gleich, was zwischen ihm und ihrem Vater vorgefallen war, jeden Augenblick kommen und die verschlossene Tür öffnen würde. Sie hatten großes Zutrauen in seine Erfindungsgabe. Doch als die Inselfrauen kamen und nur für zwei Personen Mittagessen brachten, gab selbst Ynen die Hoffnung auf.
»Wahrscheinlich hat Mitt nicht einmal versucht, Vater klar zu machen, was hier los ist«, sagte Hildy wütend. »Und jetzt hat er uns vergessen. Die sind doch alle gleich!«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er uns vergessen hat«, entgegnete Ynen.
»Ich dafür umso mehr! Allein konnte er ganz leicht fliehen, und genau das hat er getan!«
»Ich dachte, er glaubt, er stehe in unserer Schuld…«, begann Ynen voll Unbehagen.
»Das hat er überhaupt nicht geglaubt«, erwiderte Hildy. »Er glaubt vielmehr, wir wären ihm etwas schuldig, weil er in Holand solch ein elendes Leben geführt hat!«
Und weil Mitt sich genauso ausgedrückt hatte, fand Ynen keine weiteren Einwände mehr.
Lange Stunden danach spielten sie ›Ich sehe was, das du nicht siehst‹. Hildy war viel zu niedergeschlagen, um sich zu konzentrieren. »Ich gebe auf«, sagte sie. »Hier ist nichts, was mit T anfängt.«
»Tisch«, sagte Ynen trübselig.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Lithar schlurfte herein. Hildy bemerkte ihn nicht. »Woher sollte ich wissen, dass du so etwas Blödes meinst!«, keifte sie schlecht gelaunt.
Lithar starrte sie erschrocken an. »Ich glaube, ich will dich wirklich nicht heiraten«, sagte er.
»Danke gleichfalls!«, versetzte Hildy. »Wenn ich dich sehe, wird mir übel!«
Lithar wandte sich brüskiert Al zu, der ihm in das Kinderzimmer gefolgt war. Nach Al kamen zwei große Männer, die Navis zwischen sich führten. »Ich brauche sie doch nicht zu heiraten, oder, Al?«, fragte Lithar. »Sie ist überhaupt nicht fraulich.«
Al lachte und klopfte ihm auf den
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