Joschka, die siebte Kavallerie
1906 . Glaubst du wirklich, ich kann das vergessen?“
„Nein!“, lachte ich. „Das glaube ich nicht! So was vergisst keiner von uns.“
„Worauf du Gift nehmen kannst!“
Mein Lachen steckte ihn an. Ihn und die anderen Wilden Fußballkerle , die wir nach einem wunderbaren Samstagmorgen-Sturmgewitter-Frühstück auf unserem Weg zum Teufelstopf trafen. Die Reifen unserer Räder waren geflickt. Der Wind trieb uns an und der Regen, der auf uns herabprasselte, verstärkte nur unser Lachen. Wir erzählten uns immer dasselbe.
Wir konnten nicht genug davon kriegen, wie Raban, der Held, letzten Herbst in den Holzzaun des Bolzplatzes gerauscht war und ungläubig zum Schild hinaufgestarrt hatte, das Willi dort angebracht hatte: Teufelstopf hieß unser Bolzplatz von diesem Tag an. Der Hexenkessel aller Hexenkessel. Das Stadion der Wilden Fußballkerle e.W. Von diesem Tag an spielten wir in der Dimension Acht. Wir kämpften um Camelot, steckten die Unbesiegbaren Sieger in Mülltonnen und Hundehütten hinein und honigten und federten den Dicken Michi. Ja, und dann erzählte Juli uns allen zum hunderttausendsten Mal, wie wir das Spiel gegen den SV 1906 , unser erstes Spiel in unserem eigenen Stadion, beinah verloren. Bis unser Vater kam. Der, den wir bis dahin nicht kannten, und der seinen Sohn Juli „Huckleberry“ Fort Knox über sich hinauswachsen ließ:
Es waren die letzten Sekunden des Spiels. Nach einem Null-zu-vier-Rückstand hatten wir den Ausgleich erreicht. Das war wie ein richtiger Sieg. Doch noch war das Spiel nicht zu Ende. Der um ein Jahr ältere Gegner griff ein letztes Mal an. Markus, der Unbezwingbare, hielt einen Ball nach dem anderen. Aber seine letzte Faustabwehr war zu kurz. Das Leder landete direkt vor den Füßen des Gegners und der zog dampfhammerhart-erbarmungslos ab. Markus lag geschlagen am Boden. Die Kugel schoss auf das leere Tor zu. Das musste der Siegestreffer sein. Die Spieler vom SV 1906 rissen die Arme hoch in die Luft. Sie feierten schon. Da startete Juli „Huckleberry“ Fort Knox. Er sprintete los, zog die Beine nach vorn, jagte waagrecht durch die Luft und donnerte die Kugel in der allerletzten Nanosekunde aus dem Kasten heraus. Der Ball flog in den dunklen Abendhimmel empor. Er krachte in die Baustrahler-Flutlichtanlage. Die Scheinwerfer explodierten, und während wir Juli in unserem Jubel unter unseren Körpern vergruben, rieselte ein Sternenregen auf uns herab. Touristisch-bombastischer Bärenbauchspeck, was war das für ein Tag! An diesem Abend waren wir die glücklichsten Kinder der Welt, und selbst Willi schien daran zu denken, als wir jetzt in den Teufelstopf kamen.
Er stand mitten auf dem Fußballfeld und schaute zu der Baustrahler-Flutlichtanlage hinauf, die er für uns aufgebaut hatte. Der Regen prasselte ihm ins Gesicht. Doch das störte ihn nicht. Für ihn schienen es die Funken des Sternregens zu sein.
„Alles ist gut!“, begrüßten wir den besten Trainer der Welt, der unter seiner roten Baseballmütze und der Regenjacke echte Schlangenlederstiefel und einen Nadelstreifenanzug trug.
„Alles ist gut!“, mussten wir noch einmal wiederholen. Erst dann wurden wir von Willi bemerkt.
„Solange du wild bist!“, lächelte er, immer noch ganz in Gedanken versunken.
Er ging zu seinem Mofa, nahm den Koffer mit unseren Trikots, den echten und einzigartigen, nachtschwarzen Wilde Fußballkerle -Trikots, schnallte ihn auf den Gepäckträger und wollte schon aufsteigen, da zögerte er. Er musterte uns. Einem nach dem anderen sah er tief in die Augen. Dann schob er die Mütze in den Nacken und kratzte sich an der Stirn.
„Gut. Das ist gut. So sehen Sieger aus, hat meine Oma immer gesagt!“ Er grinste uns an. „Los! Worauf wartet ihr noch? Der Hallen-Stadtmeister ist heute der haushohe Favorit.“
„Und ob er das ist!“, riefen Fabi und Marlon.
„Ja, Kreuzhuhn und Kümmelkack!“
„Dampfender Teufelsdreck!“
„Und Sakra-Rhinozerospups!“
Da hob Leon die Arme.
„Alles ist gut!“, rief er und schaute uns an.
„Ja! Solange du wild bist!“, antworteten wir alle zusammen.
„Eins! Zwei! Drei!“, zählte Leon uns ein und dann schrien wir unseren Kampfruf, unser ohrenbetäubendes „RAAH!“.
Der schwarze Pulk preschte los. Mit Willi an der Spitze rasten wir aus dem Teufelstopf raus. Wir brausten durch die Straßen hindurch und überall, an den Wänden, Zäunen und Mauern, lasen wir die Zeichen unserer Macht: „Sei wild. Noch viel wilder! Sei gefährlich
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