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Joschka, die siebte Kavallerie

Joschka, die siebte Kavallerie

Titel: Joschka, die siebte Kavallerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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und wild!“ Die Graffitis feuerten uns an wie ein ohrenbetäubender Applaus. Die ganze Stadt war ein einziges Stadion und niemand von uns dachte jetzt noch an das, was Wilson „Gonzo“ Gonzales, der blasse Vampir, erst letzte Nacht von uns gefordert hatte.

Nackt
    Der Empfang beim SV 1906 war wortlos und kühl. Die Spieler und ihre Eltern musterten uns mit offener Feindseligkeit. Wir waren ein Jahr jünger als sie und trotzdem hatten wir das Hinspiel gegen sie nicht verloren. Nein, wir hatten sie sogar besiegt. Im Endspiel um die Qualifikation für die Hallen-Stadtmeisterschaft. Touristisch-bombastischer Bärenbauchspeck! Das hatten wir fast schon vergessen. Damals schossen Fabi und Leon jeder jeweils drei Tore. Mit sechs zu null wurde der SV 1906 von uns in die Wüste geschickt und diese Schmach galt es heute für ihn zu rächen. Darauf hatte der Trainer seine Jungs eingeschworen. Er plante den Doppelschlag. Er wollte uns heute besiegen und mit diesem Sieg in der Tabelle an uns vorbeiziehen. Ja, denn wenn wir heute verlören, käme der SV 1906 auf Platz zwei und für uns wäre die Meisterschaft für immer verloren.
    Ohne ein Wort gab er uns den Schlüssel für die Kabine. Die lag im Keller, am hintersten Ende des Gangs und die hatte er extra seit einer Woche nicht mehr gelüftet. Sie stank wie ein überfüllter Bus im Hochsommer.
    „Pu-ha-hu! Will-ha-hilli!“, fluchte Deniz, die Lokomotive.
    Er sprang zum Fenster, um es zu öffnen. Doch dort fehlte der Griff.
    „Ran-hanzige Ke-ha-hap-Bude!“, schimpfte der Türke mit dem roten Irokesenhaarkamm. „Hier zieh ich mich auf keinen Fall um!“
    Deniz sprach uns aus der Seele. Der Gestank war nicht auszuhalten und der Boden zwischen den Bänken war mit Rasen- und Dreckklumpen übersät, die aus den Stollenschuhen von drei Dutzend Mannschaften stammten. Wir drängten zum Kabinenausgang zurück, doch dort stand der Trainer des SV 1906 . Groß, mächtig und düster versperrte er uns den Weg.
    „Tut mir leid, aber die anderen Kabinen sind alle besetzt!“, log er mit einer Stimme, die wie die Metallpresse auf einem Autofriedhof klang. „Und ihr müsst euch leider beeilen. Unser Platz ist in einer Stunde belegt. Deshalb gebe ich euch genau fünf Minuten. Dann pfeif ich an.“
    Auch das war mit Sicherheit eine Lüge. Doch wenn jemand eine Stimme besitzt, die wie eine Metallpresse klingt, dann hält man ihm seine Lüge besser nicht unter die Nase. Der Trainer des SV 1906 grinste zufrieden.
    „Fünf Minuten!“, wiederholte er.
    Dann schlug er die Tür hinter sich zu.
    „Südbrasilianische Meerschweinchenpisse!“, zischte Rocce, der Zauberer. Und Jojo, der mit der Sonne tanzt, rief dem SV-Trainer hinterher: „Dafür werdet ihr heute verlier’n.“
    „Los, Willi! Gib uns die Trikots!“, forderte Leon, der Slalomdribbler. „Ich verspür’ gerade eine ungeheure Lust, Fußball zu spielen!“ Er riss sich die Kleider vom Leib.
    „Ja, ich bin richtig heiß!“, lachte Fabi, der schnellste Rechtsaußen der Welt.
    Auch er zog sich aus und Raban, der Held, sprang schon in Unterhose vor dem Koffer mit den Trikots herum.
    „Los! Willi! Mach schon! Der SV 1906 hat sich gerade ein Ticket in die Hölle be ... ste ... he ... ll ...“
    Das letzte Wort verreckte in seinem Mund. Raban erstarrte und Willis Gesicht wurde zu einer Maske aus Stein.
    „Hippopotamusbullenpropellerschwanzmist!“, krächzte Raban ganz heiser und wischte sich den Kabinenmief von der Brille.
    Er wollte und konnte es einfach nicht glauben.
    „D-d-da ... da!“, stammelte er und zeigte in den Koffer hinein.
    Wir sahen uns verständnislos an. Aber auch Willi rührte sich nicht. Er kratzte sich noch nicht einmal an der Stirn. Da ahnten wir Böses, richtig Böses, und mit angehaltenem Atem wagten wir einen Blick in den Koffer hinein.
    Es war ein Blick in unser eigenes Grab. Terro-touristische Seeräuberei! Der Koffer war leer, unsere Trikots gestohlen! Nur ein Zettel lag auf dem silbernen Boden. Darauf stand:
    „Hallo, ihr Kleinen! Wilson war hier und ich warne euch noch mal: Er ist überall!“

    Ab diesem Moment existierte der Gestank in unserer Kabine nicht mehr. Er wurde von der Stille verschluckt. Von der Stille, die entsteht, wenn die Welt stehen bleibt. Wenn man ohnmächtig ist und nichts tun kann, absolut nichts, obwohl alles um einen herum zusammenstürzt. Wenn man überhaupt nicht kapieren kann, wie das alles passiert. Ja, oder könnt ihr mir das vielleicht sagen? Wie kam Wilson Gonzales an den

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