Josef und Li: Roman (German Edition)
überhaupt nichts verstanden hätte. Helena rümpfte die Nase und sagte zu Josef, der Li immer noch ansah, als sei sie ein kostbares Gemälde: »Und begriffsstutzig ist die Wunderbananenschale auch noch!«
Doch die Frau Lehrerin dachte nicht daran, aufzugeben. Sie deutete auf der Landkarte mit dem Finger auf Vietnam und sagte noch etwas langsamer und deutlicher: »Guten Tag – hi in Vietnam!«
Und plötzlich wusste Li, was die Frau Lehrerin von ihr wollte. Sie beugte sich ein wenig vor und sagte langsam und deutlich wie vorhin die Frau Lehrerin: »Sin tschau.« Die Frau Lehrerin sah sie forschend an, doch sie hatte nicht den Eindruck, dass dieses scheue und artige Mädchen sie veräppeln würde und »Sin tschau« in Wirklichkeit Schimpansenkacke hieß. Und so schrieb die Frau Lehrerin an die Tafel: »Xin
chao«, holte wieder wie eine Dirigentin aus, und alle Kinder bis auf Helena sagten wie aus einem Mund: »Sin tschau.«
Li war anscheinend froh, im fernen Tschechien ihre Muttersprache zu hören, und sagte wie die Frau Lehrerin vorhin: »Ausgetseichne!«
Und dann sangen die Kinder mit der Frau Lehrerin Li ein tschechisches Lied und Li sang den Kindern und der Frau Lehrerin ein vietnamesisches Lied vor. Nur Helena sang nicht und hörte auch nicht zu. Sie dachte, die anderen sollten sich bloß nichts einbilden wegen der Neuen … und vor allem Josef nicht.
Am nächsten Tag war Samstag und endlich kam nach langen Regentagen die Sonne hinter den Wolken zum Vorschein, und auf einmal war es wieder so warm wie im Sommer.
Josef ging wie jeden Samstagmorgen mit Olík spazieren. Während Olík dem Herrn Bílek die Zeitung kaufte, besorgte Josef frische Brötchen zum Frühstück. Und als die beiden zurückkamen, sahen sie vor dem Haus Herrn Nguyen und Li auf der Malerleiter stehen. Li balancierte auf den Zehenspitzen und über dem Kopf hielt sie einen Farbeimer, in den Herr Nguyen den Pinsel eintauchte und auf ein altes, ausgeblichenes Schild über dem Eingang in Schönschrift schrieb: Zur Lustigen Teh Cann.
Josef zauderte ein wenig und hoffte, dass Herr Nguyen und Li ihn bemerken würden. Doch sie waren so auf das Beschriften konzentriert, dass sie ihn immer noch nicht sahen. Josef trat auf der Stelle und dachte nach, wie er am unauffälligsten auf sich aufmerksam machen könnte, und da hatte er
auch schon eine Idee. Vendula würde sagen, das sei eine blöde Idee, und auch Li würde es sicher sagen, aber sie wusste noch nicht, wie man blöd auf Tschechisch sagt. Josef schlich ganz nah an die Malerleiter heran, und als er direkt auf Höhe von Lis Ohr stand, rief er: »Baff!« Und Olík wiederholte, wie wenn er Josefs Echo wäre: »Waff!«
Li erschrak so sehr, dass sie entsetzt aufschrie und den Farbeimer zu Boden fallen ließ. Daraufhin wankte Herr Nguyen und fiel von der Leiter direkt in die auf dem Boden ausgelaufene Farbe, und sein Gesicht sowie größere Teile seines Körpers waren jetzt rot gefärbt. Gott sei Dank nicht vom Blut, sondern von der roten Farbe.
Olík wartete lieber nicht, was passieren würde, sondern schnappte die Zeitung und verschwand im Hof. Und der erschrockene Josef eilte zu Herrn Nguyen und half ihm auf die Beine.
»Das in Oldnung«, beruhigte ihn Herr Nguyen und versuchte die verschüttete Farbe vom Bürgersteig wieder zurück in den Eimer zu befördern.
»Du weiss, meine Tochter hat dünne Nelv. Sie in Europa ganz neu und nicht velstehen tschechisch Witz«, erklärte Herr Nguyen, als ob Li an allem schuld wäre und nicht Josef.
Dann schwang sich Herr Nguyen zurück auf die Malerleiter und Josef folgte ihm. Nun hielt er ihm den Eimer anstatt Li, die am Bürgersteig stehen blieb und Josef keines Blickes würdigte.
Herr Nguyen schrieb gerade den letzten Buchstaben zu Ende und es schien, dass er mit seiner Arbeit sehr zufrieden war. Josef überlegte, ob er ihn vielleicht doch darauf aufmerksam
machen sollte, dass man das Wort Teekanne ja ganz anders schreibt, doch bevor er noch den Mut fassen konnte, irgendetwas zu sagen, hörte er eine Stimme von unten: »Wo steckst du denn!? Ich warte schon eine halbe Stunde auf dich!«
»Ich helf doch nur ein bisschen …«, stotterte Josef. Er hatte ganz vergessen, dass er schon längst im verlassenen Garten sein und mit der Scheuerbürste den Boden der Gartenlaube sauber machen sollte.
»Soso, du hilfst hier also …«, wiederholte Helena und schaute Li vielsagend an. Die lächelte Helena an und piepste: »Guten Tag – hi«, doch Helena antwortete
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