Josef und Li: Roman (German Edition)
dreinschaute: wie ein Feind.
Der Herr Hausmeister Bílek und Olík waren wiederum sehr froh. Sie kauten an den roten und orangenen Gummischlangen und Herrn Bílek fiel ein Stein vom Herzen. Endlich war es ihm gelungen, die feuchten, etwas muffelnden Räume zu vermieten, und er konnte nun von dem Geld die kaputte Dachrinne reparieren lassen. Doch das hatte die Schildkröte nicht gehört, also Herrn Bíleks Stein, der ihm vom Herzen fiel.
Vendula hatte sie nämlich versehentlich in ihre geheime Schublade gesteckt. In ihrer Wut, die sie auf Josef hatte, verwechselte sie die Schildkröte mit der Puderdose.
An diesem Tag konnte sich Josef in der Schule gar nicht auf den Unterricht konzentrieren. Er musste ständig an die Familie Nguyen denken, die ins Haus eingezogen war. Helena Bajerová musste ihn in der Pause drängen, ihr die Mathe-Hausaufgaben endlich fertig zu schreiben. Gleich würde die Schulglocke läuten und er hatte noch nicht einmal die Hälfte. Seit ihrer Verlobung mit Josef hatte sie keine einzige Hausaufgabe mehr selbst geschrieben. Und jedes Mal, wenn er sich mit Helenas Aufgaben abmühte, tobten Máchal, Hnízdil und Šíša durch das Klassenzimmer und spielten das neue Smikmak-Spiel. Das Smikmak-Spiel hätte Josef sicher gut gefallen. Er kannte zwar die Regeln nicht, doch er sah die Begeisterung der Jungs. In Wirklichkeit hatte das Smikmak-Spiel gar keine Regeln. Die einzige Regel bestand darin, Josef eifersüchtig zu machen, damit er zutiefst bereute, Helena für sich alleine zu besitzen. Tatsächlich ging ihre Rechnung auf. Doch diesmal beobachtete Josef nicht das Smikmak-Spiel, sondern war mit seinen Gedanken bei ihm zu Hause im Hof.
Man sagt, wenn jemand mit aller Kraft an etwas denkt, dann passiert es auch. Daran schien etwas Wahres zu sein, denn als es läutete, kam die Frau Lehrerin mit eben diesem Mädchen an der Hand, das Josef morgens im Hof gesehen hatte, in die Klasse.
Die Frau Lehrerin klatschte in die Hände, damit die Kinder ruhiger wurden, und sagte: »Das ist Li Nguyen, eure neue
Mitschülerin. Sie kommt von weit, weit her …« Die Frau Lehrerin fuhr mit dem Finger die Karte entlang bis zum Fernen Osten und sagte, das Land, aus dem Li käme, hieße Vietnam.
»Das heißt also, Li spricht vietnamesisch, und ihr sprecht tschechisch«, sagte die Frau Lehrerin, was ein wenig überflüssig war, denn den Schülern der fünften Klasse dürfte doch klar sein, dass in Vietnam vietnamesisch gesprochen wird und nicht tschechisch.
»Und nun, liebe Kinder, hängt es von euch ab, wie es Li bei uns gefallen und wie schnell sie Tschechisch lernen wird. Stellt euch einmal vor, ihr wärt in einem fernen unbekannten Land, wo ihr niemanden kennen würdet«, fuhr die Frau Lehrerin fort und lächelte Li aufmunternd zu, weil sie wusste, wie schwer es für ein Kind war, die Schule zu wechseln, wenn es von einem Viertel in ein neues umzog, geschweige denn von einem Kontinent auf einen anderen. Selbst Máchal, Hnízdil und Šíša hörten auf zu spielen und stellten sich vor, wie sie sich in einem fernen Land fühlen würden. Bei dem Gedanken kamen ihnen fast die Tränen. Aber die kamen ihnen eher von der Pfeffersalami, die Máchal heute zum Essen dabeihatte.
Helena Bajerová stellte sich überhaupt nichts vor. Es reichte ihr völlig, dass Josef sich Dinge vorstellte. Er ließ Li nicht aus den Augen und bemerkte gar nicht, wie ihm Helena zuflüsterte, die Neue würde aussehen wie eine Mischung aus einer nassen Wunderkerze und einer Bananenschale.
Aber dann schon forderte die Frau Lehrerin die Kinder auf, Li zu begrüßen. Sie breitete die Arme wie eine Dirigentin aus und die ganze Klasse sagte auf ihr Kommando gleichzeitig im Chor: »Guten Tag.«
Nur Hnízdil rief: »Hi!«, und Helena schwieg verbissen. Li sah einen Augenblick so aus, als ob auch sie ein wenig an Máchals Pfeffersalami geschnuppert hätte. So einen schönen Empfang hatte sie gar nicht erwartet und so zögerte sie nicht lange und sprach den Kindern und Hnízdil nach: »Guten Tag – hi!«
Die Kinder prusteten los, doch da streichelte die Frau Lehrerin, die sehr zufrieden mit dem Verlauf der Vorstellungsrunde war, Lis Kopf und sagte: »Ausgezeichnet!«
Und dann lächelte sie ein wenig verschwörerisch der Klasse zu und sagte langsam und deutlich, damit Li sie gut verstehen konnte: »Und jetzt bringt Li uns bei, wie man guten Tag auf Vietnamesisch sagt, ja, Li?« Die Frau Lehrerin drehte sich zu Li um, doch die sah aus, als ob sie
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