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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Vovsova
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bestimmt dort hinterlassen hätte. Und es fehlten auch keine Buchstaben, auch gab es keine Rechtschreibfehler, die eine sichere Spur zu Hnízdil und Šíša gewesen wären.
    Gleich auf der ersten Seite stand geschrieben: Protokoll I. der geheimen Sitzung der Tigerkrallen: Šíša hat versprochen, einen Kassettenrekorder mitzubringen, aber er brachte keinen mit, weil er meint, er hat keine Batterien. Hnízdil ist mein Stellvertreter und Máchal auch, Šíša wird’s, wenn er den Kassettenrekorder mitbringt. Ich hab ein Schloss für das Kistchen besorgt. Wir werden verschiedene Dinger drehen – siehe Plan Nr. 1.
    Josefs Wangen brannten vor Aufregung und er merkte gar nicht, wie Vendula in das Zimmer kam. Ganz leise und kaum merkbar näherte sie sich Josef, der sich gerade bemühte, den verschlüsselten Plan Nr. 1. zu knacken. Aber er konnte sich noch so den Kopf zerbrechen, er wurde nicht schlau aus der fitzeligen, krakeligen Buchstabenabfolge. Urteilt selbst: NEGIRDEINREFESOJDANGYMITNGYESNGYLINGY-SIEHTNGY.
    Wenn er mehr Zeit gehabt hätte, wäre er vielleicht draufgekommen. Doch auf einmal verschwand das Heft ganz plötzlich aus seinen Händen.
    Bevor Josef zu sich kam, hatte sich Vendula mit dem Geheimen Heft in ihrem oder besser gesagt in Martas Zimmer eingesperrt.
    Josef fing an, an der Klinke zu rütteln, gegen die Tür zu treten und wie ein Irrer zu schreien: »Mach sofort auf und rück
das Heft raus! Mach sofort auf und rück das Heft raus!« Aber die Tür ging nicht auf, stattdessen schwebte Josef einige Zentimeter über dem Boden. Marta hatte ihn hochgehoben und trug ihn wie zum Hohn auf sein Zimmer.
    »Wenn du dich beruhigt hast, mach ich dir auf«, sagte Marta und drehte den Schlüssel im Schloss zweimal um.
    »Ich bin schon ruhig! Ich bin schon ganz ruhig! Hörst du? Ich bin schon ruhig, also mach auf!«, plärrte Josef und schlug und trat dabei gegen die Tür, und so war nicht ganz klar, ob er wirklich ganz ruhig war oder nur so tat.
    Gleichzeitig kam Frau Kličková nach Hause. Sie hielt in jeder Hand eine schwere Einkaufstüte und das Einzige, wonach sie sich sehnte, war Ruhe.
    »Ich bin ganz ruhig! Ich bin ganz ruhig!«, hörte man den schon ganz heiseren Josef hinter der Tür.
    Frau Kličková legte die Tüten ab, gab mit einem Blick Marta zu verstehen, was sie von alldem hielt, und ohne dass sie die wilden Grimassen wahrnahm, mit denen ihr Marta andeuten wollte, dass Josef verrückt geworden sei – sie klopfte sich an die Stirn und zeichnete mit dem Finger Kreise neben ihrem Kopf –, sperrte sie die Tür auf.
    Josef schoss aus dem Zimmer wie der Teufel. Er riss den Schlüssel aus dem Schloss und sperrte sich ohne ein Wort zu sagen von innen ein. Und so verwandelte sich das Gefängnis mit einem Handgriff in eine uneinnehmbare Festung, die er erst am nächsten Tag wieder öffnete, als fast alle schon draußen waren und er allein zu Hause zu bleiben drohte.
    Es war nämlich Sonntag und die Kličkas unternahmen mit Marta einen Ausflug. Frau Kličková hatte Tee für die eine Thermoskanne vorbereitet, für die andere Kaffee, eine Menge Brote geschmiert, ein Hähnchen gebraten und einen Quarkkuchen gebacken und legte dann alles sorgfältig in einen geflochtenen Korb, den sie mit einer Tischdecke zudeckte.
    Sie hatte sich große Mühe gegeben, alles rechtzeitig vorzubereiten, war daher schon bei Sonnenaufgang aufgestanden und freute sich darauf, dass alle in der Natur zu Mittag essen würden, während ringsherum Ruhe und Frieden herrschten, und dass diese Ruhe und dieser Frieden auch in ihre Gedanken und Seelen einkehren würden.
    Zunächst sah auch alles danach aus. Der alte Skoda von Herrn Klička startete gleich beim ersten Versuch, sie hatten keine Panne, es wurde nicht gestritten und auch nicht gerauft. Auf der Rückbank saß Marta zwischen Vendula und Josef und das erinnerte Josef an die Chinesische Mauer, nur ein wenig kürzer.
    Und als sie dann von der Straße abfuhren und auf einer Anhöhe über dem Fluss parkten, atmeten alle angesichts dieser Pracht tief durch, und es schien, als ob wirklich Ruhe und Frieden einkehren würden, wie sich das Frau Kličková gewünscht hatte.
    Der Fluß strömte friedlich dahin, wand sich mal nach rechts, mal nach links, sodass er ein großes Mäandermuster in die Landschaft zeichnete, und an den Ufern der Biegungen wuchsen Erlenbäume, alte verbogene Weiden und Schilf.
    »Hier ist es wunderschön, Ladislav!«, kiekste Marta, als ob dieser Platz ein Kanapee

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