Josef und Li: Roman (German Edition)
schimpfte mit Josef und sagte, wenn er sich noch einmal gegen die Wand des nassen Zeltes lehnte, dann würden sie sofort abreisen. Karel lehnte sich noch oft gegen die Wand des nassen Zeltes, aber sie reisten nicht ab, denn am nächsten Morgen schien die Sonne, alles trocknete und im Wald wucherten die Pilze.
Und Josef erinnerte sich daran, wie es war, als er noch nicht lesen konnte. Er hatte so getan, als ob er es könnte. Vendula dachte, Josef könne wirklich lesen und sie hörte ihm gerne
zu. Auch Karel hörte zu. Doch dann ging Vendula in die Schule und glaubte ihm nicht mehr. Karel glaubte immer alles, doch das war nicht mehr das Gleiche.
Josef erinnerte sich noch an viele andere Dinge, und das nur deshalb, weil er nicht mit den Jungs draußen herumtobte. Und auch deshalb, weil Vendula ihm dieses Bonbon gegeben hatte, das sich unters Bett verirrte.
So fand Josef gleich mehrere Gründe, warum es besser war, allein zu sein und keine Freunde zu haben. Aber ganz sicher war er sich dabei nicht. Weil Karel Karel war und Hnízdil, Máchal und Šíša Hnízdil, Máchal und Šíša waren.
Der verlassene Garten wurde also zum Revier der Tigerkrallen. Und obwohl niemand Josef verboten hatte, dorthin zu gehen, wagte er sich nicht mehr, ihn zu betreten.
Dafür verschwanden die Jungs mit Helena immer gleich nach der Schule dorthin und blieben bis zum Anbruch der Dunkelheit. In den Pausen steckten sie wichtig die Köpfe zusammen und behielten Josef im Blick. Sie prüften, dass er ihnen auch nicht zuhörte, und wenn er zufällig an ihnen vorbeiging, verstummten sie plötzlich und lächelten einander geheimniskrämerisch zu. Nur ab und zu ließen sie einige Worte fallen wie zum Beispiel: »das geheime Heft«, »Parole«, »das findet niemand«, »Tigerkrallen«, »das ist das beste Versteck«, »kleiner Hosenscheißer« oder »Angriffsplan«, das sagten sie aber mit Fleiß, damit Josefs Neugierde ins Unermessliche wuchs.
Je mehr Tage vergingen, desto mehr verwandelte sich der verlassene Garten in den unzugänglichsten und geheimnisvollsten Ort der Welt. Und sobald sich die erste günstige Gelegenheit
bot, bei der die Jungs nicht mit Helena den verlassenen Garten aufsuchten – es war Samstag und Josef sah sie im großen Park Fußball spielen –, machte er sich mit Olík sofort auf zum Garten.
Die Fahne der Tigerkrallen flatterte bedrohlich im Wind und während Josef in der Gartenlaube auskundschaftete, wie die feindliche Festung eigentlich aussah, hielt Olík unter dem Zwetschgenbaum Wache. Auf allzu viel Neues stieß er nicht. Nur auf ein paar Wachsreste, abgebrannte Zündhölzer und auf einen alten Topfdeckel, auf dem das Zeichen der Tigerkrallen aufgemalt war.
Er dachte schon, dass er in der Gartenlaube nichts finden würde, und wollte schon enttäuscht gehen, da stolperte er über ein lockeres Brett im Fußboden. Er hob es hoch und im dunklen Inneren der Laube ertastete er eine kleine Kiste. Er zog sie raus und sah eine mit dem Messer eingeritzte Inschrift: Streng geheim . Hätte es auf der kleinen Kiste keinen Hinweis gegeben, hätte er sie seelenruhig wieder zurückgelegt und sich gedacht, dass sie höchstens Máchals altes Messer oder ein Stück vertrockneter Salami enthielte. So aber fing er sofort an, den Schlüssel zu suchen, denn das Kistchen war mit einem Vorhängeschloss versehen.
In der Zwischenzeit schnüffelte Olík unter dem Baum. Er wühlte mit seiner Schnauze in der Erde, die nach Mäusen, Maulwürfen, Regenwürmern und schwarzen Käfern roch. Diese Gerüche erregten ihn so sehr, dass er weder hörte noch roch, wie die Tigerkrallen in den Garten kamen.
Josef war auch ganz aufgeregt, aber nicht weil er irgendwelche Käfer oder Maulwürfe roch, sondern weil er endlich
den Schlüssel vom Kistchen fand – er lag oben auf einem Balken. Er öffnete die Kiste und nahm ein Heft mit festem Einband heraus, auf dessen Etikett in Schönschrift zu lesen war: Geheimes Heft der Tigerkrallen .
»Wir umzingeln ihn!«, zischte Helena den Jungs zu, als sie Josef in der Gartenlaube erblickte, woraufhin die Bande sich von allen Seiten langsam auf die Gartenlaube zubewegte. Doch plötzlich bemerkte Olík Šíša, der ihm versehentlich auf die Pfote getreten war. Er fing wie verrückt an zu bellen und biss sich in Šíšas Hosenbein fest.
»Werden Tigerkrallen je verraten, werden Feinde schön gebraten! «, grölte Helena und Josef steckte blitzschnell das Heft unter den Pulli, schob mit einem Fußtritt die leere Kiste
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