Josef und Li: Roman (German Edition)
bemerkt und verschwand wie ein dunkles Phantom um die Ecke.
Josef war eigentlich froh, dass sie bei ihrer Unternehmung auf so ein Schreckenshindernis gestoßen waren. Anderenfalls wäre das Ganze nur halb so abenteuerlich gewesen. Denn im öden Kehlschneid mit einer geräucherten Makrele in der Hand herumzulaufen – Li war davon überzeugt, dass aus dem Zeitungspapier golden schimmernde Schuppen herauslugten – war nur halb so verwunderlich, wie wenn der Mann einen echten Kurzdegen oder einen Dolch in der Hand gehabt hätte.
Nachdem sich Josef und Li wieder beruhigt hatten und ihnen das Blut in den Ohren zu pulsieren aufgehört hatte, vernahmen sie plötzlich eine leise, kaum hörbare Geräuschquelle in der Stille. Li legte ihren Zeigefinger an die Lippen und ging mit Josef sogleich dem Geräusch nach. Indem sie dem Geräusch näher kamen und es immer lauter wurde, war bald auch Josef klar, dass in der Ferne nirgendwo Katzen miauten, sondern es sich um Musik handelte. Vietnamesische Musik! Und die führte sie zu einem erleuchteten Fenster im Erdgeschoss einer Wohnung.
Josef und Li gingen nah heran und sahen Tuongs Wohnung – wenn man diese armselige Behausung, die mit Kisten, Tüten und mit Martas Adventskränzen vollgestopft war, überhaupt so nennen konnte.
Tuong kniete vor einer Buddha-Statue, die in einem Regal aufgebaut war, und murmelte etwas vor sich hin. »Tuong bittet Buddha …«, fing Li flüsternd an zu erklären, doch als sie sah, dass Josef Tuong anglotzte wie einen Außerirdischen, entschied
sie sich, die höchstfeierliche Situation ein wenig aufzulockern: »… um Würstel, Dürstel und Kartoffe-Chips.«
Aber Josef lachte überhaupt nicht über den gelungenen Scherz, im Gegenteil, er nickte ernst. Als ob Würstel, Bier und Kartoffelchips für Buddhisten die allerwichtigsten Dinge auf der Welt wären.
»Und bittet er auch um Friede, Liebe und Gesundheit«, fügte Li rasch hinzu, weil sie dem Ruf der buddhistischen Gebete nicht schaden wollte. Sie legte den Umschlag mit der Einladung auf das Fensterbrett und sagte: »Komm! Wir ihn nicht stören!«
»Und jetzt wir müssen nur noch einladen Hydra«, sagte Li, als sie endlich mit Josef von dieser abenteuerlichen Fahrt zurückgekehrt war.
»Ich dir geben Hydra! Wo du sein? Du nicht wissen wie viel Uhr?« Wie man sah, und vor allem hörte, war Frau Nguyen verärgert. Sehr verärgert. Über Li und Josef. Gute zwei Stunden schon lief sie ungeduldig im Hof hin und her und machte sich um Li große Sorgen. Sie hatte sich immer noch nicht an das Leben in Tschechien gewöhnt und verspürte oft Sehnsucht nach dem Städtchen Phu Tinh Gia, aus dem sie nach Prag gezogen waren. Dort war es nie so kalt und auch die Sonne ging anders unter.
»Ich nicht glückliche, wenn Li nicht zurück sein wenn hell! Du jetzt immer zu Hause bleiben! Nix raus!«
Frau Nguyen ärgerte sich so sehr und so laut, dass Frau Háková und Herr Šimáček aus dem Fenster guckten. Aber daran war im Grunde nichts Außergewöhnliches. Es reichte ein
leises Rascheln im Hof und die beiden waren sofort in Bereitschaft.
Frau Háková hatte sich sogar einmal so sehr aus dem Fenster gelehnt, dass sie hinausfiel. Aber ihr war nichts passiert. Sie betrachtete das meiste, was im Hof vor sich ging, als einen Bestandteil ihres Lebens, und so meinte sie, sich in alles einmischen zu dürfen. Sie erteilte jedem einen Ratschlag und redete allen in alles rein.
Herr Šimáček wiederum griff nirgendwo ein, aber dafür war sein Blick umso aussagekräftiger. Besonders wenn ihn der Dampf, der ihm aus der Küche der Lustigen Teh Cann entgegenschlug, in der Nase kitzelte. Dann schaute er so angewidert, dass man Angst bekommen könnte.
»Aber sie kann nichts dafür, das ist alles meine Schuld!«, versuchte Josef Li in Schutz zu nehmen, aber das gelang ihm nicht im Geringsten. Im Gegenteil, Frau Nguyen wurde umso wütender.
»Sie nicht sein vernünftiger Mann, Josef! Sie nicht mehr kommen zu Li! Li haben Rausverbot!«, schrie Frau Nguyen so wütend, dass sich selbst Frau Háková etwas weiter vom Fenster entfernte.
»Vergiss nicht die Hydra erledigen!!«, schaffte Li gerade noch Josef zuzurufen, bevor hinter ihr die Tür zuknallte.
Zu Hause wurde Josef zwar nicht angeschrien, dafür musste er polieren. All die silbernen Schüsseln und das Besteck, welches Frau Kličková einmal im Jahr vor Weihnachten aus dem obersten Fach des Regals hervorholte, und jedes Mal war alles übers Jahr schwarz
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