Josef und Li: Roman (German Edition)
die Hydra erledigt hätte. In nicht ganz vier Stunden sollte der Abend der Poesie beginnen.
»Noch nicht«, sagte er wahrheitsgemäß. Aber gleich darauf fiel ihm etwas ein und er sagte noch: »Aber ich werde sie noch erledigen!«
»Grüß dich, Josef«, sagte Herr Bílek zu Josef, als er die Tür aufmachte. Seine Hände waren voller Mehl. »Kommst du Olík abholen?« Aber Josef schüttelte den Kopf, nein, er käme nicht Olík abholen, und sagte: »Ich komme zu Ihnen.« Olík, der jedes
Wort verstanden hatte, kroch enttäuscht zurück in sein Körbchen und Herr Bílek bat Josef herein.
Josef war noch nie zuvor in der Wohnung von Herrn Bílek gewesen, und jetzt, wie er hier umherspazierte, sah er, wie Herr Bílek lebte, und erfuhr nun viel mehr über ihn als die ganze Zeit, in der sie sich im Hof oder an der Türschwelle Olík hin und her reichten.
Nach den Fotos zu urteilen, die im Buchregal, auf dem Piano und am Schreibtisch aufgestellt waren, war Herr Bílek auch einmal jung gewesen, hatte eine Frau, eine sehr schöne Frau mit gewelltem Haar, Eltern, einen Bruder und einen ganz anderen Hund als Olík, so ein zotteliges Knäuel mit ausgestreckter Zunge.
Am meisten aber beeindruckte ihn eine Fotografie, auf der Herr Bílek auf einem Motorrad saß und gerade dabei war, wegzufahren. Er lachte ins Objektiv, hielt sich am Lenkrad fest und aus dem Auspuff drang eine riesige Rauchwolke. Auf dem Gepäckträger hatte er einen Rucksack befestigt, aus dem eine Thermoskanne hervorlugte, und im Hintergrund glitzerte ein Fluss. Dieses Foto strahlte etwas so Angenehmes aus, dass Josef seine Augen nicht davon losreißen konnte. Er wollte sich auch einmal so frei fühlen und auf einem Motorrad durch die Landschaft kreuzen, wie es ihm gerade in den Sinn käme.
»Komm rein und schau dir an, was ich hier fabriziere«, rief Herr Bílek aus der Küche und Josef musste lachen, als er die Miniaturknochen sah, die Herr Bílek aus je einem Vanille-und Schokolandenteig geformt hatte und sorgfältig auf das Backblech legte. Und gleich darauf kam ihm der Gedanke, dass Herr Bílek Weihnachten für Olík vorbereitete, weil sonst
niemand da war, für den er ansonsten Weihnachten vorbereiten könnte.
»Ich spinne, nicht wahr?«, sagte Herr Bílek ein wenig schuldbewusst und Josef schüttelte den Kopf, nein, er spinne nicht.
»Also, wie kann ich dir helfen?«, fragte Herr Bílek nach einer Weile und Josef stotterte: »Hm, ich … ich bräuchte … können Sie eine junge Stimme nachahmen?«
Herr Bílek war von der Frage bestimmt überrascht worden. Aber er fing nicht zu lachen an, weil er Verständnis für Josef hatte, und sagte: »Na, wenn’s dir hilft, kann ich es ja versuchen. «
Und während Herr Bílek mit Josef seine junge Stimme trainierte, wurde in der Küche der Kličkas wie wohl in allen böhmischen, mährischen und schlesischen Haushalten geknetet, geschnitten und gebacken. Und überall waren Backbleche voller Herzchen und es duftete dort fast so schön wie in der Wohnung von Herrn Bílek. Marta hatte die Herzchen gebacken und dann verzierte sie sie mit einem rosfarbenen Zuckerguss.
»Und was ist mit den Busserln? Krieg ich welche?«, fragte Herr Klička, als er in die Küche trat und die Herzchenbelagerung sah.
»Gerne«, sagte Marta, schloss die Augen und spitzte die Lippen zum Kussmund.
»Meine Mama hat zu Weihnachten immer welche gemacht«, sagte Herr Klička und steckte den Kopf in den Kühlschrank, in der Hoffnung, dort etwas Essbares zu finden. Aber
darin war nur Teig für weitere Herzchen. Marta begriff, dass Herr Klička Schaumbusserln im Sinn hatte – und keine echten Busserln und so entspitzte sie ihre Lippen wieder.
»Mein Bruder und ich, wir waren verrückt nach ihnen. Aber Sascha macht nie welche. Keine Ahnung, warum.«
»Weil du mich nie darum gebeten hast!«, fuhr die energische Stimme von Frau Kličková durch die Küche. Sie war gerade von den letzten Einkäufen zurückgekehrt und hielt in einer Hand eine Schachtel, die genau so groß war, dass darin Fußballschuhe mit Gumminoppen Platz fanden.
»Woher soll ich bitte schön wissen, dass du früher gerne Schaumbusserln gegessen hast?!«
»Hab ich dir das nie erzählt?«
»Nein. Du sagst sowieso nicht sehr viel. Und außerdem: Schaumbusserln bestehen hauptsächlich aus Zucker!«
Die Stimme von Frau Kličková hatte eine Tonlage erreicht, bei der man ihr besser nicht widersprach. Aber zum Glück klingelte im selben Augenblick das Telefon, sodass das
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