Josef und Li: Roman (German Edition)
hoch und zog ihr mit aller Kraft den Filzhut über das Gesicht. Es sah wirklich sehr lustig aus, wie sie verwirrt inmitten des Gewühls umhertappte. Wie ein wankender Pilz auf zwei Beinen. Li und Josef zögerten lieber nicht länger und verschwanden wie zwei Wüstenschlangen im wirren Treiben der Gässchen.
Tuongs Stand war geschlossen.
»Da hat er aber Glück gehabt, ausgerechnet heute hat er freigenommen«, sagte die Verkäuferin vom Nachbarstand zu Li. Sie sagte es auch zu Josef, aber der verstand kein Wort, weil sie es auf Vietnamesisch gesagt hatte.
»Und wo wohnt er?«, fragte Li.
»Weit weg. Ist es wichtig?«
»Ja, es ist wichtig!«, antwortete Li. Und dann sagte sie noch, es wäre sehr wichtig, denn es ginge um Tuongs Lebensglück, ja sogar um das Glück vieler anderer Leute.
Das alles hatte Josef auch nicht verstanden, doch er fragte lieber nicht nach. Die Verkäuferin schrieb eilig auf ein Stück Papier, wie man zu Tuongs Wohnung käme, und im nächsten Augenblick waren Li und Josef vom Markt verschwunden.
Vielleicht hätten sie besser noch eine Weile auf dem Markt bleiben sollen. Dann hätten sie nämlich nicht gesehen, wie Herr Klička mit der Hydra im alten Skoda saß und am Bahnübergang darauf wartete, dass sich die Schranke öffnete.
Herr Klička war gerade dabei, Marta etwas zu erzählen, und sie lachte, woraufhin auch er lachte, und die beiden sahen
wie die allerlustigsten Menschen aus, die je am Bahnübergang gewartet haben. Bevor Josef und Li irgendetwas unternehmen konnten, ging die Bahnschranke hoch und der Skoda fuhr los.
»Was sollen wir tun?«, fragte Josef niedergeschlagen mit bebender Stimme. Auch Li war niedergeschlagen, aber das würde sie sich um keinen Preis anmerken lassen, und sagte stattdessen: »Na was schon? Wir fahren zu Tuong nach Hause«, und hüpfte in die Straßenbahn.
Es fing schon an dunkel zu werden und die beiden standen erst am Anfang ihrer Reise. Sie fuhren am Letná-Gelände vorbei, welches Josef noch sehr gut in Erinnerung hatte. Als kleiner Junge war er dort ein paarmal im Zirkus gewesen, aber vor allen Dingen befand sich dort das Sparta-Stadion, wo er so lange schon einmal hinwollte. Und dann fuhren sie weiter zur Moldau.
Die Straßenbahn kreuzte das Ufer von Bubeneč und bog schon bald hinein nach Holešovice ab. Dort liefen die Leute schwer beladen mit Päckchen und mit prall gefüllten Taschen herum – genauso wie zuvor schon in den anderen Vierteln, die sie passiert hatten.
An den Straßenecken wurden Karpfen und Weihnachtsbäume verkauft, und auf den Hauptstraßen waren die Baumkronen mit winzigen Glühbirnen verziert, die an langen Schnüren hingen, sodass es aussah, als würden die Bäume brennen oder als ob riesige Glühwürmchenschwärme auf ihnen gelandet wären.
Die Straßenbahn setzte ihre planmäßige Route fort, und als sie auf die Libeň-Brücke abbog, die Metro-Station Palmovka
hinter sich ließ und scharf Richtung Süden wendete, hatte Josef keine Ahnung mehr, wo sie sich befanden.
Nicht nur dass dort keine Bäume leuchteten, es war auch kein Licht hinter den Fenstern zu sehen, weil es keine Fenster gab. Nur nacktes Gelände, Umzäunungen, Lagerhallen und betonierte Areale mit Autowracks. Es gab auch eine Gartenkolonie, die im Winter noch kahler wirkte als der kahlste Friedhof.
Li wusste bestimmt auch nicht, wo sie sich befanden, doch sie wirkte sorglos und zählte laut die einzelnen Haltestellen auf. Nachdem sie dann unter einem Viadukt hindurch und lange an einer Fabrikwand entlangfuhren, kamen sie endlich an der Station an, an der sie aussteigen sollten. Da war es schon stockfinster und keine Menschenseele auf der Straße zu sehen.
»Wo sind wir hier?«, fragte Josef mit beengter Stimme.
»Kehlschneid«, las Li auf dem Papier und fragte, was das Wort bedeuten würde.
Josef führte ihr das beispielhaft vor. Er fuhr mit der Hand blitzschnell quer am Hals vorbei und Li lachte ein wenig gezwungen.
Es war nicht so einfach, Tuongs Wohnung in diesem düsteren Randbezirk zu finden. Und da polterte ihnen aus der dunklen Unterführung auch noch eine dunkle Gestalt entgegen. Sie hielt etwas Langes und Spitzes, in Zeitungspapier Eingewickeltes in der Hand. Der Schlachter von Kehlschneid! Zumindest machte er auf Josef solch einen Eindruck. Schnell verkroch er sich mit Li hinter den Mülltonnen. Die beiden zitterten vor Angst und machten keinen Piep, doch der Mann
zischte an ihnen vorbei wie eine Dampflok. Zum Glück hatte er sie nicht
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