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Josefibichl

Josefibichl

Titel: Josefibichl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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Warten Sie, Bilder sagen mehr als Worte.«
    Veit Gruber nahm eine überdimensionierte Fernbedienung vom Rauchglascouchtisch und klickte darauf herum. Die Verdunkelungen an den raumhohen Panoramascheiben des Wohnzimmers fuhren nach unten, und ein Plasmafernseher, der in jedem Fußballstadion als Anzeigetafel hätte herhalten können, erhob sich aus dem Antikholzboden. Veit Gruber war offensichtlich jederzeit bereit, seine Vision des touristischen Zentrums der Zukunft vorzuführen.
    Ohne dass der Hausherr weitere Vorkehrungen hätte treffen müssen, erschien auf dem überdimensionierten Bildschirm die glitzernd animierte Schrift: »Spirit Of The Alps: Let The Mountains Heal You«. Dazu erklang eine Musik, wie sie Bernd Schneider noch nie gehört hatte. Es klang, als hätte ein irrer österreichischer DJ die Sitarversuche George Harrisons mit einem ganzen Orchester aus Kuhglocken zu einem bayerisch-indischen Klimperwahnsinn zusammengemischt und auf eine Basslinie aus gregorianischen Chorälen und dem Om mani padme hum der tibetanischen Mönche gelegt.
    Genau das war passiert.
    Die überall im Zirbelholz versteckt eingebauten Hochleistungslautsprecher erzeugten den körperlich spürbaren THX-Druck. Veit Gruber hatte an nichts gespart.
    »Wie finden Sie das?«, fragte der stolze Produzent seinen Gast in den verebbenden Lärm hinein.
    Schneider war, als rieche er plötzlich eine Duftmischung aus Cannabis, Kardamom und Bergwiese, die seine Sinne zusätzlich vernebelte, und er brachte nur einen halbdebilen Gesichtsausdruck zustande.
    »Warten Sie, jetzt geht‘s erst los.« Veit Gruber freute sich wie ein Kind über eine weitere Playstation zu Weihnachten und nahm den Finger vom Pausenknopf seines Multifunktionsgeräts.
    Was dann folgte, war hollywoodreif: Schneider war sich während des dreiminütigen Films nie ganz sicher, ob Gruber sowohl Pixar als auch Industrial Light and Magic beauftragt hatte, den Werbestreifen für Spirit Of The Alps zu animieren.
    Zunächst näherte sich der Zuschauer im Sturzflug aus dem All der Erde. Immer schneller ging es auf den Planeten zu. Europa wurde erkennbar, das Bild zentrierte auf Mitteleuropa und raste auf die schneebedeckten Alpen zu. Soweit kannte Bernd Schneider die Möglichkeiten heutiger Computertechnik von Google Earth. Nur, dass das hier alles riesig und dabei gestochen scharf war. Und 3-D, wie es ihm vorkam. Der Sturz auf die Gipfel wurde durch einen abrupten Schwenk in die Horizontale abgefangen. Schneider hatte dabei das Gefühl, er sitze in einer talwärts rauschenden Achterbahn, die Anlauf für den Fünferlooping nahm, und er würde mit der Kraft von drei g in den Sitz gepresst.
    Anschließend ging es wie im Düsenjäger durch Täler und Schluchten, dabei immer wieder auf Crashkurs mit einem Berg, bevor der Pilot die Maschine nach oben riss, um hinter dem beinahe touchierten Gipfel wieder in das Schnee – und Felsenmeer einzutauchen. Der Flug verlangsamte sich, und der imaginäre Düsenjet schien sich in einen Helikopter zu verwandeln. Der schwebte über die Zugspitze, vorbei an deren berühmtem Gipfelkreuz über den Jubiläumsgrat auf die Alpspitze zu. Deren Nordflanke wie ein Skifahrer hinuntergleitend, überflog der Betrachter das Kreuzeck und raste die Kandahar-Abfahrtsstrecke hinab.
    Unten angekommen erstreckte sich vor dem Auge des Betrachters ein Traum saftiger Sommerwiesen. Hier nahm das Bild wieder Fahrt auf und raste quer durch Garmisch-Partenkirchen auf den Wank zu, bevor der Flug wieder sehr langsam wurde, begleitet von Sphärenklängen, die anscheinend am gesamten Gehörapparat saugten, so wie die Bilder an den Augen. Schneider war, als hätten sich seine Hör – und Sehorgane um einen Meter aus ihren dafür vorgesehenen Kopfvertiefungen nach außen geschoben und sein Gehirn mit sich gezerrt. Er musste aufpassen, nicht das Atmen zu vergessen.
    Dann tat sich vor ihm ein seltsames Bild auf. Das gesamte linke untere Eck des Wanks, dieses gemütlichen bewaldeten Berges, an dessen Ausläufer sich Partenkirchen schmiegte und der mit der Schroffheit des gegenüberliegenden Wettersteins so gar nichts gemein hatte, sah nicht mehr so aus, wie es Bernd Schneider in Erinnerung hatte. Das Wankeck war bedeckt mit einer Ansammlung der abenteuerlichsten Gebäude. Der typische Fichtenwald, der in den letzten Jahrzehnten, von saurem Regen und Rotwildverbiss geschwächt, so manchem Herbststurm nicht mehr hatte standhalten können, war durch einen tropischen Regenwald ersetzt.

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