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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Frau, die den Laden führte, ein ätherisches Wesen im modisch abgedunkelten, nach Patschuli duftenden, von Sitarmusik durchströmten Raum, in dem er nach einer Weile einen undeutlichen, purpurnen Schimmer wahrnahm, dank dessen er einige reglose Gestalten auszumachen meinte. Wahrscheinlich Kleider, bestimmt zum Verkauf. Er wagte nicht zu fragen. Granny war furchteinflößend. Eines Tages aber nahm er all seinen Mut zusammen und ging nach unten, um sich vorzustellen: Hi, ich wohne oben; ich heiße Salman . Die junge Frau im Laden trat näher, so dass er die Verachtung in ihrem Gesicht sehen konnte. Und dann sagte sie in hipper Langsamkeit:
    »Konversation ist so was von out, Mann.«
    Die schönsten Mädchen der Welt liefen die King’s Road auf und ab, irrsinnig knapp bekleidet, lachend und begleitet von pfauenhaften Männern, die gleichfalls lachten und gleichermaßen fantastisch angezogen waren mit ihren hochkragigen Gehröcken, rüschenbesetzten Hemden, weiten Knautschsamthosen und Stiefeln aus Schlangenlederimitat. Er schien der Einzige zu sein, der nicht wusste, wie man glücklich war.
    Im reifen Alter von zwanzig Jahren fuhr er nach Cambridge mit dem Gefühl zurück, das Leben zöge an ihm vorbei. (Andere litten ebenfalls unter dem Letztes-Jahr-Blues. Selbst der stets fröhliche Jan Pilkington-Miksa wirkte deprimiert, erholte sich aber bald wieder, um dann fröhlich zu verkünden, dass er beschlossen habe, Regisseur zu werden und beabsichtige, sobald er mit Cambridge fertig sei, in den Süden Frankreichs zu fahren, »denn die da unten«, sagte er leichthin, »brauchen bestimmt noch Regisseure«.) Er suchte Zuflucht in der Arbeit, wie er es schon in Rugby getan hatte. Ein Mann von Geist hat lediglich die Wahl, / Entweder Leben oder Werk vollkommen zu machen «, schrieb Yeats, und da er sich offensichtlich nicht zum vollkommenen Leben eignete, kümmerte er sich besser um seine Arbeit.
    Das war das Jahr, in dem er von den satanischen Versen erfuhr. In Teil zwei seines Abschlussexamens in Geschichte musste er aus einem breiten Angebot drei ›Spezialthemen‹ wählen und sich darauf konzentrieren. Er entschied sich für die indische Geschichte während des Unabhängigkeitskampfes gegen die Briten, also vom Aufstand 1857 bis zum Unabhängigkeitstag im August 1947, für das erstaunliche erste Jahrhundert der Geschichte der Vereinigten Staaten 1776 bis 1877, von der Unabhängigkeitserklärung bis zum Ende der als reconstruction bekannten Nachbürgerkriegszeit, sowie für ein drit tes Thema, das in jenem Jahr zum ersten Mal angeboten wurde: ›Mohammed, der Aufstieg des Islam und das frühe Kalifat‹. 1967 interessierten sich in Cambridge nur wenige Studenten für den Propheten des Islam – so wenige, dass der für diesen Kurs vorgesehene Dozent die Vorlesung absagte und sich weigerte, die paar Studenten zu betreuen, die sich dafür entschieden hatten. Damit war klar, dass dieses Thema nicht mehr zur Verfügung stand und eine andere Wahl getroffen werden sollte. Alle übrigen Studenten gaben es tatsächlich auf, über Mohammed schreiben zu wollen, und entschieden sich für ein neues Thema. Er spürte jedoch, wie sich der alte Trotz in ihm regte. Die Regel lautete, solange sich auch nur ein einziger Student für ein angebotenes Thema interessierte, konnte es nicht gestrichen werden. Nun, er interessierte sich dafür. Er war der Sohn seines Vaters, gottlos, aber von Göttern und Propheten fasziniert. Außerdem war er, zumindest teilweise, ein Produkt der tief wurzelnden muslimischen Kultur Südasiens, ein Erbe des künstlerischen, literarischen wie architektonischen Reichtums der Moguln und deren Vorfahren. Und er war fest entschlossen, diesem Thema nachzugehen. Dafür brauchte er nur einen Historiker, der bereit war, ihn zu betreuen.
    Von den drei großen Historikern, die zu jener Zeit am King’s unterrichteten, hatte Christopher Morris den besten Ruf und am meisten publiziert, ein Spezialist für die politische Gedankenwelt der Tudorzeit, der Kirchengeschichte und der Aufklärung – wohingegen John Saltmarsh mit seinem wilden weißen Haar, den krausen Koteletten, den langen Unterhosen, die unter den Hosenaufschlägen hervorlugten, und den Sandalen an unbestrumpften Füßen zu den großen Exzentrikern der Universität zählte und ein unvergleichlicher Experte in der Geschichte des College und seiner Kapelle war, zudem der regionalen Ortsgeschichte, ein Mann, den man oft mit einem Rucksack auf dem Rücken die Wege

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