Joseph Anton
Hause sei er in eine Bäckerei gegangen, und die Regale seien leergefegt gewesen. Nicht ein Brot, nicht ein Bagel seien noch zu haben gewesen, und der alte Bäcker habe in seinem ausgeräumten Laden gestanden, die Arme ausgebreitet und gesagt: »Das sollte jeden Tag passieren.«
*
Seine Eheprobleme in London erschienen jetzt banal. Elizabeth lenkte vorübergehend ein, und Milan durfte mit zu ihm in die Pembridge Mews kommen. Er holte seinen Sohn vom Kindergarten ab, machte ihm Essen, wusch ihm die Haare, brachte ihn ins Bett und stand eine Stunde lang daneben und sah ihm beim Schlafen zu. Bei seiner Rückkehr hatte Milan ihn lange und fest unmarmt, und auch Zafar hatte sich körperlicher gezeigt, als es seine Art war. Der Psychologe hatte recht gehabt. Obwohl sie beide mit dem rationalen Teil ihres Verstandes wussten, dass er gar nicht in New York City gewesen war, hatten sie mit eigenen Augen sehen müssen, dass er in Sicherheit war.
In Le Nouvel Observateur und in The Guardian wurde sein Roman vorausahnend, gar prophetisch genannt. Er sei kein Prophet, sagte er einem Journalisten. In seinem Leben habe er so einigen Ärger mit Propheten gehabt und hege kein besonderes Interesse an dem Job. Doch er fragte sich, weshalb ihn dieses Buch so gedrängt hatte, wieso es darauf bestanden hatte, sofort geschrieben zu werden, und woher diese Furien kamen, die über New York und im Herzen seines Protagonisten lauerten.
Er wurde gebeten, etwas zu schreiben – die Nachrichtenagenda hatte nun definitiv bei ihm angeklopft –, doch es sollten nach den Anschlägen noch zwei Wochen vergehen, ehe er es tat. Viele der im ersten Impuls geschriebenen Stücke erschienen ihm redundant. Alle hatten das Grauen gesehen, man brauchte ihnen nicht zu sagen, was sie davon zu halten hatten. Dann flossen seine Gedanken zusammen. »Der Fundamentalist will viel mehr niederreißen als nur Gebäude«, schrieb er. »Solche Menschen sind – um nur ein paar Beispiele zu nennen – gegen Meinungsfreiheit, Mehrparteiensysteme, allgemeines Wahlrecht, zur Rechenschaft verpflichtete Regierungen, Juden, Ho mosexuelle, die Gleichberechtigung der Frauen, Pluralismus, Säkularismus, kurze Röcke, Tanzen, Bartlosigkeit, Evolutionslehre, Sex … Der Fundamentalist glaubt, dass wir an gar nichts glauben. Nach seiner Weltanschauung ist er im Besitz absoluter Gewissheiten, während wir in sybaritischer Dekadenz versinken. Um ihn zu widerlegen, müssen wir zunächst überzeugt sein, dass er im Unrecht ist. Wir müssen uns einig sein darüber, was alles gut und richtig ist: Küssen in der Öffentlichkeit, Schinkenbrote, Meinungsverschiedenheiten, neueste Mode, Literatur, Großzügigkeit, sparsamer Umgang mit Wasser, eine gleichmäßigere Verteilung der Ressourcen dieser Welt, Filme, Musik, Gedankenfreiheit, Schönheit, Liebe. Das werden unsere Waffen sein. Nicht, indem wir Krieg führen, sondern durch die furchtlose Art zu leben, für die wir uns entscheiden, werden wir sie besiegen. Wie der Terrorismus zu besiegen ist? Lassen Sie sich nicht terrorisieren. Lassen Sie nicht zu, dass Angst Ihr Leben beherrscht. Auch wenn Ihnen angst und bange ist.«
(Während er das schrieb, machte die Presse eine Story daraus, dass die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA sämtlichen amerikanischen Fluglinien ein Beförderungsverbot für ihn ausgesprochen hatte. British Airways und die Europäer blieben gelassen, doch in Amerika sorgte die allgemeine Panik dafür, dass seine Reiseprobleme von vorn losgingen. »Ich verstehe«, dachte er nicht ohne eine gewisse Verbitterung, »zuerst lasst ihr alle Terroristen in die Flugzeuge steigen, und jetzt wollt ihr antiterroristische Romanschriftsteller vom Fliegen abhalten, das ist also euer Plan für die Sicherheit Amerikas.« Als sich die Lage beruhigte, beruhigte sich auch die FAA wieder und hob ihre Einschränkungen auf; sofort wurde das Leben für ihn wieder einfacher, wiewohl zwei amerikanische Fluglinien sich noch weitere zehn Jahre weigern sollten, ihn zu befördern.)
Er flog nach Frankreich anlässlich der Veröffentlichung von Wut , das in der gerade entstandenen neuen Welt sehr viel besser aufgenommen wurde als in englischer Sprache in der alten Welt, die soeben verloschen war. Zurück in London, war er zum Abendessen in die Wohnung eines Freundes eingeladen, und einer der anderen Gäste, ein Mr Proudie, erging sich in der bereits weitverbreiteten These ›Ame rika hat es herausgefordert / Amerika hat es verdient‹. Er
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